Apfelkuchen in der Wüste
Mit dem Camper durch Namibia, 2. Teil
Mit einem normalen Auto hätten wir jetzt ein Problem. Der Tank ist leer und in Lüderitz gibt es seit Tagen keinen Sprit. Bis zur nächsten Tankstelle in Aus sind es 130 Kilometer. Für uns ist das aber überhaupt kein Problem. Wir schalten auf den zweiten Tank um und haben damit weitere 8o Liter zur Verfügung. Mit dieser beruhigenden Reserve wagen wir uns wieder in die Wüste. Bevor uns die selbstgewählte Route ab Aus wieder nordwärts führt und wir der Zivilisation erneut den Rücken kehren, füllen wir an der einzigen Tankstelle weit und breit, alle Kraftstoffbehälter bis zum Rand voll. Unsere Absicht ist es, für die kommenden Tage in die rostrote Einsamkeit der Tirasberge einzutauchen.
Durch die Namib-Wüste
Das weitläufige Rooirand-Plateau erstreckt sich in unmittelbarer Nachbarschaft zu den endlosen Sanddünen des Namib-Naukluft-Nationalparks. Es ist Teil der Randstufe, die den Übergang vom Hochland in den flachen, sandigen Küstengürtel markiert. Der Name („Roter Rand“) ist wahrhaftig Programm, denn in der Dämmerung bringt die Sonne die umgebenden Berge und Felsen regelrecht zum Glühen. Im Naturpark Tirasberge haben sich die vier ansässigen Farmen zusammengetan, um ein 125.000 Hektar großes Gebiet ökologisch zu bewirtschaften und einem umweltschonenden Tourismus zu öffnen.
Das sind die nüchternen Fakten. Wessen stressgebeutelte Seele aber abseits jeglicher zivilisatorischen Hektik und im Angesicht dieser Symphonie in Rot zur Ruhe kommen darf, der will so schnell nicht mehr fort. Vergessen ist die Zeit und all das, was den Reisenden mit den Kümmernissen der Heimat verbindet. Der einzige Taktgeber ist hier die Natur.
Wir sind zu Gast auf der Straußenfarm Koiimasis. Vor der Kulisse eines Canyon, dessen Gesteinsformationen an überdimensionale Orgelpfeifen erinnern, liegt unsere Einsiedelei. Zwei Tage und drei Nächte verbringen wir ohne jedes eigene Programm. Wir beobachten das wechselnde Farbenspiel der Wüste und lauschen ihrer dezenten Akustik. Nachts liegen wir auf dem Rücken und lassen uns in den Sternenhimmel fallen. Es hätten ruhig noch mehr Tage und Nächte sein dürfen.
Die Dünen des Sossusvlei
Schweren Herzens verlassen wir diesen Ort der Ruhe. Unser weiteres Programm wird uns gottlob nicht abrupt in die Zivilisation zurückwerfen. Behutsam werden wir auf unserem Weg nach Sesriem wieder an Menschen gewöhnt. Das Desert Camp ist nur zum Teil bewohnt und der Abstand zwischen den einzelnen Zelten ist groß genug, um sich weiterhin der Illusion des Alleinseins hingeben zu können. Wirklich alleine ist man im Sosussvlei jedoch nie. Es ist eine der Hauptattraktionen des Landes und die Besucher der grandiosen Dünenlandschaft strömen aus allen Richtungen herbei. Wir folgen dem Rat eines Landeskundigen und besorgen uns schon am Vorabend die Tickets für unseren Ausflug zu den höchsten Dünen der Welt. Den letzten Höhepunkt des ausklingenden Tages markieren die vorzüglichen Straußensteaks aus Koiimasis, die auf dem Holzkohlengrill bruzzeln.
Wer es schafft, schon vor Sonnenaufgang am Eingang zum Naturpark zu sein, der wird in doppelter Hinsicht belohnt. Zum einen durch eine stimmungsvolle Landschaft, zum anderen durch den Verzicht auf den morgendlichen Stau vor der Zugangskontrolle. Jedes einfahrende Fahrzeug wird ausgesprochen sorgfältig registriert und das braucht Zeit. Vierzig Kilometer später ist auf einem Parkplatz für Fahrzeuge ohne Allradantrieb Schluss. Die letzten fünf Kilometer muss man laufen oder gegen Gebühr einen Shuttle-Service in Anspruch nehmen. Mit unserem Toyota Hilux meistern wir die tiefe Sandpiste ohne Probleme.
Die Sonne brennt inzwischen bereits gnadenlos von einem fast wolkenlosen Himmel. Mit reichlich Trinkwasser im Marschgepäck laufen wir zunächst von einer der wenigen, schattenspendenden Akazien zur Nächsten. Dann stehen wir vor der steilen Flanke von Big Daddy, der sich fast 350 sandige Höhenmeter in den blauen Himmel reckt. Nichts ist anstrengender, als eine Sanddüne zu erklimmen. Die Kraft eines jeden Schrittes verpufft nahezu wirkungslos im fließenden Sand. Es ist Frustration pur, weil man kaum vorwärts kommt. Nach zwei Dritteln der Strecke ist für uns auf dem Nordsattel der Düne Schluss. Aber auch von hier oben ist der Blick über die endlosen Dünenwellen mit den eingeschlossenen Trockenflächen einfach phänomenal.
Bevor die Hitze am frühen Nachmittag wirklich unerträglich wird, verlassen wir das Sosussvlei bereits wieder. Wir freuen uns auf die Solitaire Guest Farm und das Wiedersehen mit Simone, einer Deutschen, die mit ihrem Mann Walter diese an den Ausläufern der Naukluft-Berge gelegene Gästefarm betreibt. Zuvor kehren wir aber in in dem winzigen Wüstennest Solitaire in der „Desert Bakery“ von Moose Mc Gregor ein. Ein knappes Vierteljahrhundert versorgte der Schotte Durchreisende unter anderem mit seinem vorzüglichen Apfelstreuselkuchen vom Blech. Leider ist Percy Cross McGregor, so sein vollständiger Name, überraschend und viel zu früh verstorben. Seinen „German Apple Crumble“ gibt es aber weiterhin. Das kleine Café mitten in der Wüste bleibt eine Attraktion und es ist einfach ein „Muss“, hier eine Rast einzulegen und die süßen Leckereien gleich vor Ort zu genießen.
Zu Gast bei den Erdmännchen
Nur wenige Kilometer abseits der Straße liegt unser Etappenziel, die Solitaire Desert Farm. Nach der herzliche Begrüßung durch Simone beziehen wir unseren wahrhaft urigen Stellplatz mit Blick auf die umliegenden Berge. Zu unserer alleinigen Verfügung haben wir wieder ein kleines Bad, das als Besonderheit diesmal völlig ohne Dach auskommt. Duschen unter dem Sternenhimmel und wenn es regnet mit der ganz großen Brause. Abends genießen wir vorzügliche Springbock-Steaks aus garantiert ökologisch unbedenklicher Quelle. Simones Ehemann Walter ist passionierter Jäger und für die Fleischbeschaffung zuständig. Alles andere muss über weite Strecken aus Windhuk herangeschafft werden – eine logistische Meisterleistung. An diesem Abend schafft es die zwanzigköpfige norwegische Besatzung eines „Overlanders“ – das sind klimatisierte Touristenkabinen auf einem Lkw-Fahrgestell – die Alkoholvorräte der Gästefarm vollständig niederzuringen. Unseren Sundowner können wir glücklicherweise noch aus eigenen Bordvorräten bestreiten. Dabei leistet uns ein einsames und überaus zutrauliches Erdmännchen Gesellschaft.
Der frühe Morgen in der Wüste ist immer wieder ein erhabener Moment. Webervögel, Trappen und Singhabichte begrüßen den anbrechenden Tag. Der offene Zelteingang gewährt einen ersten Blick auf die farbintensive und in dieser Stunde noch kühle Wüste. Von unserem Ausguck genießen wir still diesen Augenblick. Ein wenig abseits von unserem Lagerplatz erkennen wir die „Opfer“ des gestrigen Zechgelages. Einige der Norweger sind auf ihrem Rückzug, in unterschiedlicher Distanz zu ihren Nachtquartieren, quasi „verendet“. Von diesem Elend weitgehend unbeeindruckt, genießen wir wenig später das reichhaltige Frühstücksbuffet, eben ohne skandinavische Gesellschaft. Der Abschied von Solitaire, den Naukluft-Bergen und unseren Gastgebern fällt schwer, aber wir haben noch viel vor. Durch die, nach den ergiebigen Regenfällen der vergangenen Wochen mit Blütenteppichen durchsetzte Mondlandschaft zwischen Gaub- und Kuiseb-Pass, fahren wir wieder Richtung Atlantik. Wir sind auf dem Weg in die deutscheste Stadt Namibias, Swakopmund.
Swakopmund – ein Kaiserbad unter Palmen
Die heute über 44.0000 Einwohner zählende Stadt an der flachen Mündung des Swakop-Flusses entstand etwa um die gleiche Zeit wie das 450 Kilometer südlicher gelegene Lüderitz. Anders als der abseits gelegene Außenposten im Diamanten-Sperrgebiet entwickelte sich Swakopmund aber für die meisten Auswanderer zügig zum Eingangstor nach „Deutsch-Südwest“. Große Reedereien und Handelsniederlassungen siedelten sich an und ließen den Ort schnell wachsen. Für einen bedeutenden Hafen war der sandige Küstenabschnitt eigentlich nicht der ideale Standort. Dieses Manko wurde jedoch durch den Bau eines knapp dreihundert Meter langen Landungsstegs ausgeglichen. Heute, nach ihrer Restaurierung, ist die „Jetty“, wie die Einheimischen den Anleger nennen, eine der Hauptattraktionen von Swakopmund. Von ihrem meerseitigen Ende schweift der Blick hinüber zum rot-weiß-gestreiften Leuchtturm, vorbei am Woermannhaus mit dem markanten Damara-Turm bis hin zu den Sanddünen der zur Küste drängenden Namib. Das Panorama wirkt wie das der alten Kaiserbäder auf der Ostseeinsel Usedom – nur eben mit Palmen.
Liebhaber der maritimen Küche kommen auch in Swakopmund voll auf ihre Kosten. Nirgendwo auf der Welt habe ich besseren Fisch, Muscheln und Krustentiere gegessen als an der Küste des Südatlantik. Eine lokale Spezialität ist der aalartige Kingklip, der besonders gut im „Lighthouse“ bei grandiosem Meerblick schmeckt. Eine gute Adresse ist auch das Brauhaus. Hier genießen wir eine ausgezeichnete Seezunge und selbstverständlich ein frisch gezapftes Bier. Dabei lauschen wir der auf Deutsch geführten Unterhaltung am benachbarten Stammtisch. Die Gespräche drehen sich um lokale Themen, Sport und Politik – fast wie zuhause.
Zwischen Dünen und Meer
Die großartige Küste des Namib-Naukluft-Parks ist leider nur schwer zugänglich. Wer die riesigen Dünen erleben will, die sich fast übergangslos in den Atlantik stürzen, muss sich zwangsläufig einer geführten Tour anschließen. Das ist auch besser so, denn gute Ortskenntnis und Erfahrung sind zwingend erforderlich, will man den schmalen Streifen befahren, den der Ozean nur bei Ebbe freigibt. Auch das Fahren in der Dünenlandschaft ist nur wirklich routinierten Fahrern vorbehalten.
Wir vertrauen uns dem Deutsch-Namibier Ernst an, der uns mit seinem Land-Rover bis zum 45 Kilometer südlich von Walvis Bay gelegenen Feuchtgebiet von Sandwich Harbour bringt. Die weitläufige Lagune wird landseitig von den schier unüberwindlichen Dünen der Namib und einem tiefgrünen Schilfgürtel flankiert. Im 19. Jahrhundert wurde die Bucht für kurze Zeit als Fischerei- und Versorgungshafen genutzt. Heute sind es insbesondere die atemberaubende Küstenlandschaft und die riesige Seevogel-Population, die Besucher anlocken. Es ist ein unvergessliches Erlebnis, während eines Picknicks auf einer Düne, hoch über Sandwich Harbour, dieses Panorama in sich aufzusaugen.
Unserem Tour-Guide gelingt es, auch aus der Rückfahrt ein Erlebnis zu machen. Immer wieder hält er an und erklärt uns die Pflanzen- und Tierwelt der Namib. Er springt aus dem noch fahrenden Auto, gräbt mit den bloßen Händen im Sand und präsentiert uns einen kleinen Namibgecko, der uns aus großen Augen ungläubig anschaut. Wir erfahren, dass weibliche Nara-Pflanzen wohlschmeckende, melonenartige Früchte produzieren und der Nebeltrinker-Käfer einen Kopfstand macht, um die Feuchtigkeit des Küstennebels einzufangen. Zum Abschluss erleben wir noch die „Brumm-Dünen“. Mit ausgeschaltetem Motor rollt der Land-Rover im Leerlauf die steile Dünenflanke hinunter und erzeugt durch die Reibung zwischen Reifen und Sand das typische sonore Brummen. Sicherlich könnte uns Ernst noch viel mehr in dieser nur scheinbar leblosen Wüste zeigen. Aber eine Tagestour kann nur einen Überblick bieten und das Interesse an „Mehr“ wecken. Wir sind fest entschlossen, uns bei unserem nächsten Namibia-Aufenthalt einer mehrtägigen Expedition anzuschließen. Leider endet mit der Exkursion nach Sandwich Harbour unser Aufenthalt in Swakopmund. Zum Ausklang mischen wir uns im urigen „Kückis-Pub“ unter die Einheimischen. Morgen werden wir uns Richtung Norden, zur Skelett-Küste aufmachen.