Am Wendekreis des Steinbocks
Mit dem Camper durch Namibia, 1. Teil
Für viele ist es fast ein Sehnsuchtsort – Namibia. Ein Stück verlorener Heimat am anderen Ende der Welt. Surreal schöne Landschaften eingetaucht in ein fast mystisches Licht. Mit seiner faszinierenden Tierwelt und den heute noch präsenten Spuren deutscher Geschichte übt das Land am südlichen Ende Afrikas eine nahezu magische Anziehungskraft aus. Wer einmal hier gewesen ist, der kommt bestimmt wieder, heißt es. Auch wir sind bereits zum zweiten Mal hier und wollen sehen, was wir beim ersten Mal nicht gesehen haben. Einige Plätze aber müssen wir einfach noch einmal aufsuchen, weil sie uns fasziniert haben. Anders jedoch, als bei unserer ersten Reise folgen wir keiner im Voraus gebuchten Tour sondern erkunden dieses faszinierende Land auf eigene Faust.
Die Einweisung in den Allrad-Camper mit seinen zwei fest montierten Dachzelten ist sehr ausführlich. So richtig kann ich den Ausführungen des Mitarbeiters von „Africamper“ nicht folgen. Der zehnstündige Nachtflug steckt uns doch ein wenig in den Knochen und darunter leidet auch die Konzentration. Nach transkontinentalen Flügen, die einen in fremde Klima- oder Zeitzonen entlassen, dauert es immer ein wenig, bis ich mich mit der neuen Umgebung synchronisiert habe. So bleiben wir einen Tag in Windhuk und warten im „Tamboti-Guesthouse“ bis auch unsere Seelen angekommen sind. Ein vorzügliches Springbock-Steak im Restaurant „Kaiserkrone“ unterstützt diesen Prozess der Akklimatisierung wirksam. Um es vorwegzunehmen: Namibia verfügt über eine vorzügliche Fleisch- und Fischküche. Für Vegetarier oder gar Veganer ist es nicht das Reiseland der ersten Wahl.
Die Reise beginnt in der Kalahari
An unserem Ziel, der „Bagatelle Kalahari Game Ranch“ werden wir überaus freundlich empfangen und bis zu unserem ersten Outdoor-Nachtquartier, einige Kilometer abseits des Gästehauses, begleitet. Camping hat in Namibia eine völlig andere Qualität. Man steht hier nicht auf winzigen Parzellen in direktem Kontakt zur Nachbarschaft. Uns „gehört“ ein riesiges Areal mit eigenem Sanitär-Gebäude und Grillplatz. Es gibt insgesamt vier dieser Stellplätze, aber nur unserer ist derzeit belegt. Das Dachzelt ist rasend schnell aufgebaut und wir finden uns rechtzeitig auf der nächsten Düne zu unserem ersten „Sundowner“ ein. Wie in Äquatornähe üblich, ist die Abenddämmerung ein kurzes aber eindrucksvolles Spektakel. Die Schatten werden lang und die Farben intensiv. Kurze Zeit nachdem sich die Sonne hinter den Horizont gestürzt hat, beginnen die Tiere der Wüste ihr allabendliches Konzert. Wir sind angekommen.
Eine Nacht in der Kalahari ist ein unvergessliches Erlebnis. Die Zivilisation ist weit weg. Kein künstliches Licht, kein Dunstschleier trübt die Sicht auf den imposanten Sternenhimmel. Das Zentrum der Milchstraße breitet sich in „Ultra High Definition“ und im XXL-Format direkt über unseren Köpfen aus. Die Sternbilder des Skorpion, das Kreuz des Südens und andere uns unbekannte Formationen zwingen den Blick immer wieder himmelwärts. Es ist still geworden. Nur der Wind raschelt mit den Dornensträuchern und Dünengräsern. Aus der Dunkelheit, die unser Lagerfeuer nicht mehr zu erhellen vermag, leuchten hin und wieder die neugierigen Augen eines Schakals zu uns herüber. Größere Tiere, insbesondere Großkatzen sind in der Kalahari eher selten und meiden eigentlich die Nähe zum Menschen. Wir schlafen gut und sicher in unserem „Dachnest“.
Richtung Süden
Am nächsten Morgen sind wir wieder zeitig unterwegs, denn im Laufe des Tages steigen die Temperaturen schnell über die Dreißig-Grad-Marke. Zudem ist es wegen der Regenzeit relativ schwül in der üblicherweise trockenen Wüste. Rostroter Sand bedeckt die Piste und wir sind froh darüber, ein geländetaugliches Allradfahrzeug zu haben. Es geht nun wieder südwärts. Bei der Orientierung nach dem Stand der Sonne muss man sich allerdings daran gewöhnen, dass die hier mittags im Norden steht.
Kurz vor Keetmanshoop machen wir einen Abstecher zum Köcherbaumwald. Der Köcherbaum ist eine stammbildende Unterart der Aloen, die insbesondere im südlichen Afrika verbreitet ist. Besonders beeindruckende Exemplare stehen hier in unmittelbarer Nachbarschaft zum „Giants Playground“ (Spielplatz der Riesen), einer bizarren Felslandschaft mit stellenweise kunstvoll aufgetürmten Dolerit-Felsen. Die heutige Etappe endet knapp 500 Kilometer südlich von Windhuk, in der ehemaligen deutschen Garnisonsstadt Keetmanshoop. Im Schützenhaus, das mit seinem typischen Vereinsambiente auch in einer deutschen Kleinstadt stehen könnte, beenden wir den Tag mit einer Rindsroulade und einem Bier.
Hochwasser – ein äußerst seltenes Phänomen im Süden Afrikas
Unser ursprünglicher Plan, die unbekannte und menschenleere „Karas-Region“ im Süden Namibias zu durchqueren, löst sich an einer Straßensperre kurz hinter der Bahnstation Seeheim auf. Nach den ergiebigen Regenfälle der vergangenen Wochen führt jedes üblicherweise ausgetrocknete Flussbett im Land mittlerweile reichlich Wasser. Der Oranje-River, der die natürlich Grenze zu Südafrika bildet, hat die ufernahe Route unpassierbar gemacht. Aus diesem Grund sind wir bereits von unserem Vorhaben abgerückt, bis dorthin vordringen zu wollen. Es sollte aber zumindest möglich sein, bis zum Fish-River-Canyon zu gelangen.
Aber noch nicht einmal das scheint uns vergönnt. Enttäuscht stehen wir am Löwenfluss und müssen erkennen, dass hier selbst ein geländetaugliches Fahrzeug nicht mehr durchkommt. Eine für Namibia völlig außergewöhnliche Situation drohte unsere Reisepläne zu kippen. Hoffnung schöpfen wir wieder, als uns die Wirtin des Seeheim-Hotels berichtet, dass ausnahmsweise die Dammkrone des Naute-Staudamms für den Verkehr geöffnet würde. Es ist diese Information, die uns die Chance eröffnet, doch noch eines der größten Naturwunder Namibias, den Fish-River-Canyon besuchen zu können. Wir sind wieder auf der Spur und übernachten heute auf dem Campingplatz des originell dekorierten „Canyon Roadhouse“.
Der nächste Tag bringt die Gewissheit, dass uns bei einem Verzicht auf den Blick in den größten Canyon Afrikas wirklich etwas entgangen wäre. Nach der Anfahrt über die felsige Hochfläche öffnet sich urplötzlich die gewaltige Schlucht, 600 Meter tief und bis zu 27 Kilometer breit. Hier an seinem Unterlauf windet sich der Fisch-Fluss über eine Distanz von 160 Kilometern durch das Koubis-Bergmassiv. Von unserem Aussichtspunkt an der Hobas-Lodge bietet sich ein wahrhaft atemberaubendes Panorama und wir können uns kaum sattsehen.
Durch die Namib zum Atlantik
Die eingeschränkte Befahrbarkeit der Straßen in der „Karas-Region“ zwingt uns, auf derselben Route wieder nordwärts zu fahren, auf der wir bereits angereist sind. Ab Seeheim streben wir dann westwärts, dem Atlantik entgegen. Kurz vor Aus, einem ehemaligen kolonialen Militärstützpunkt erregt ein Monolith mit einer Schrifttafel unsere Neugier. Hier auf dem lebensfeindlichen Huib-Plateau waren von 1915 bis 1919 über 1.500 deutsche Soldaten interniert, die sich der südafrikanischen Armee ergeben hatten. Die Männer wurden in der Wüste ausgesetzt und mussten sich ihr Kriegsgefangenenlager aus dem vorhandenen Material selbst bauen. Die Grundmauern der einfachen Hütten, die sie zum Schutz vor sengender Hitze und klirrender Kälte errichten mussten, sind heute noch zu sehen. Zwischen den dornigen Büschen verstreut, liegt noch allerlei Werkzeug und Kochgeschirr, das die Gefangenen aus ihrer militärischer Ausrüstung hergestellt hatten. Ein wahrlich entbehrungsreiches Leben, das viele nicht überlebten.
Unser Nachtlager schlagen wir auf dem weitläufigen Areal des „Desert Horse Inn“ auf. Für einen fairen Preis wird uns wieder einmal ein wunderschöner Stellplatz zugewiesen. In der Lodge erhalten Camper alles, was man für ein schönes „Braai“, wie man das Grillen im südlichen Afrika bezeichnet, so braucht. Feuerholz, Kohle und vor allem ein schmackhaftes Stück Antilopen- oder Straußenfleisch. Eine echte Alternative zur schneckenförmigen Bratwurst, von der wir uns in den letzten Tagen ernährt haben. Den krönenden Tagesabschluss bildet der obligatorische Sundowner, diesmal mit einem traumhaften Blick in die Namib-Wüste.
Von Aus sind es noch 125 Kilometer bis nach Lüderitz am Atlantik. Von knapp 1.500 Metern Meereshöhe geht es nun permanent bergab. Die spärliche Vegetation macht Platz für eine schier endlose Sandfläche und es wird richtig heiß. Direkt neben der Straße steht, einer Fata Morgana gleich, eine Gruppe ziemlich ausgemergelter Pferde. Es handelt sich um die ausgesprochen leidensfähigen Nachkommen der Reittiere deutscher Schutztruppen. Nach deren Kapitulation vor einhundert Jahren wurden die Tiere einfach in die Wildnis entlassen.
Kurz vor Lüderitz weist ein kleines Schild den Weg zu einem der sehenswertesten Orte im südlichen Namibia, der „Geisterstadt“ Kolmannskuppe. Im Jahr 1907 fand ein deutscher Bahnarbeiter im Sand der Namib-Wüste vor Lüderitz den ersten Diamanten. Auf dem Claim, der vom Deutschen Reich später zum Sperrgebiet erklärt wurde, entstand als Folge der ergiebigen Vorkommen die – auf das damalige Pro-Kopf-Einkommen bezogen – reichste Stadt Afrikas. Bis 1930 wurden hier Diamanten abgebaut. Nachdem eine Förderung nicht mehr lohnte, verließen die Einwohner Kolmannskuppe und überließen den Ort wieder der Wüste. Seit den Neunzigerjahren des letzten Jahrhunderts ist die Geisterstadt nun ein Museum. Einige Häuser wurden restauriert und vermitteln dem Besucher heute einen Eindruck über das luxuriöse Leben der Einwohner von Kolmannskuppe.
Lüderitz – erste deutsche Siedlung in Südwest
Die kleine, verschlafene Hafenstadt Lüderitz war der erste deutsche Kolonialhafen im südlichen Afrika. Im Jahre 1884 legalisierte Reichskanzler Bismarck den fragwürdigen Landkauf des Bremer Kaufmanns Adolf Lüderitz durch die Erklärung des Küstenstreifens zum deutschen Schutzgebiet. Dennoch blieb die Ansiedlung rund um die kleine Bucht lange Zeit ein eher unwirtlicher Ort. Erst die Diamantenfunde in unmittelbarer Nachbarschaft verhalfen Lüderitz zu einer bescheidenen Blüte.
Viele Besucher sind hier nicht auszumachen. Lüderitz liegt ziemlich abgelegen, abseits der üblichen touristischen Routen in Namibia. Zudem wird es eingezwängt von dem umgebenden Diamanten-Sperrgebiet. Ein Umstand der wenig Raum lässt für Exkursionen in die Umgebung oder entlang der Küste. Es gibt nur eine Straße, die in die Stadt hinein und auch wieder herausführt. Die Wiederherstellung der Bahnlinie aus deutscher Kolonialzeit verzögert sich immer wieder. Alle Güter werden in erster Linie per Straßentransport herangeschafft. Wir warten hier an der Tankstelle vergeblich auf Kraftstoff.
Bei einem Rundgang durch das farbenfrohe, historische Zentrum von Lüderitz erschließt sich aber der besondere Charme der kleinen Stadt am Südatlantik. Entlang der Bismarckstraße sind die Spuren deutscher Geschichte unübersehbar. Der koloniale Bahnhof, die alten Hotels und Geschäfte sind allesamt Zeugnisse der wilhelminischen Epoche. Das prächtige im Jugendstil erbaute Goerke-Haus sucht am Diamantberg die unmittelbare Nachbarschaft zur Felsenkirche. Vom Standort des evangelisch-lutherischen Gotteshauses hat man einen hervorragenden Rundblick über die Bucht und die Stadt.
Diamantenfieber
Wir folgen der Empfehlung von Lüderitzbuchtern, wie die deutschstämmigen Einwohner auch genannt werden, und fahren auf der einzigen, erlaubten Route in das Diamanten-Sperrgebiet. Eine Schotterpiste führt um die Bucht herum auf die vorgelagerte Lüderitzhalbinsel. Zahlreiche Hinweise warnen, unter Androhung drakonischer Strafen, vor einem Verlassen der Straße. Gegenüber dem Leuchtturm, der die Einfahrt zum Lüderitzer Hafen markiert, liegt die sogenannte Diaz-Spitze. Hier landete im Jahr 1487 der portugiesische Seefahrer Bartolomeu Diaz und errichtete, als Symbol für die Besitznahme, ein steinernes Kreuz.
Die befahrbare Strecke orientiert sich nun am Küstenverlauf und endet etwa zwölf Kilometer weiter südlich an der „Großen Bucht“. Außer Seevögeln sehen wir keine anderen Lebewesen. Das gleißende Licht erzeugt eine unwirkliche Atmosphäre. Unser Weg endet hier.
Nach der intensiven Einsamkeit erscheint uns Lüderitz nach unserer Rückkehr fast wie eine lebhafte Metropole. Lohnend ist der Besuch des kleinen Heimatmuseums. Mit fast rührender Hingabe kümmern sich Lüderitzbuchter hier um die Bewahrung ihrer Geschichte. Mit den zahlreichen Exponaten spannen sie dabei den Bogen von den Ureinwohnern über die koloniale Vergangenheit und die südafrikanische Besatzung bis zur Gegenwart. Den Tag und damit auch unseren Aufenthalt lassen wir im Restaurant des Hotels „Zum Sperrgebiet“ bei einem vorzüglichen Fischgericht und einer Flasche südafrikanischen Chardonnay ausklingen. Morgen wollen wir weiter, zunächst wieder zurück Richtung Aus. Benzin sollten wir in Lüderitz allerdings nicht mehr bekommen.