Tanz auf dem Vulkan
Eine vorweihnachtliche Wandertour auf der „Isla Bonita„
Eigentlich wollte ich nur noch solche Ziele ansteuern, die ich bodennah – also mit dem Camper, mit dem Fahrrad oder zu Fuß – erreichen kann. Für den diesjährigen „Männertrip“, eine alljährliche gemeinsame Tour mit meinen beiden Söhnen, ließ ich mich jedoch dazu überreden, wieder ein Flugzeug zu besteigen. Nach mehrjähriger fliegerischer Abstinenz sitze ich nun in einem vollbesetzten Ferienflieger und bereite mich nach knapp fünf Stunden „servicereduzierter“ Flugzeit auf die Landung auf der Kanareninsel La Palma vor.
Nach den frostigen Temperaturen beim Abflug in Düsseldorf sind die 26 Grad auf dem Flugfeld von Santa Cruz ein ziemlich abrupter Rückfall in den Sommer. Schon auf dem Weg zum Gepäckband beginne ich eine Bekleidungsschicht nach der anderen abzutragen. Am Mietwagenschalter trage ich nur noch Shorts und T-Shirt.
Wandern auf den Kanaren bedeutet in der Regel: die Begegnung mit vielen Höhenmetern. Es geht entweder hoch oder runter. Gemütliches Flanieren auf ebenen Pfaden ist hier eher die Ausnahme. Unser Quartier liegt bereits auf 700 Metern Meereshöhe und der spektakuläre Sonnenaufgang über den Nachbarinseln Teneriffa und La Gomera weckt die Lust, noch größere Höhen erklimmen zu wollen. Der erste Höhenrausch endet auf dem etwa 2.500 Meter hohen Gipfel des Roque de los Muchachos. Der ist allerdings kein Berg sondern bildet lediglich die höchste Zacke eines sehr alten Kraterrandes, der die riesige Caldera de Taburiente im Inneren der Insel umschließt. Es ist eine schroffe, fast bizarre Landschaft mit einem atemberaubenden Rundblick über La Palma, den Atlantik und die Nachbarinseln.
Unsere Erwartung, dass Ende November der Touristenstrom versiegen würde, erfüllt sich leider nicht. Überall dort, wo man mit dem Auto hinkommen kann, ist es auch um diese Jahreszeit voll. Hier oben auf dem Roque de los Muchachos und dem benachbarten Observatorium sind alle Parkplätze belegt. Zahllose Touristen stolpern in völlig ungeeignetem Schuhwerk über die scharfkantigen Lavabrocken des Vulkans.
Eine wichtige Lektion ist schnell gelernt: Wer Ruhe und Abgeschiedenheit sucht, muss sehr früh aufstehen oder Wege gehen, die weit abseits der Straßen liegen. Und die gibt es auch hier. Eine Wanderung von Los Canarios im Süden der Insel bis zum Leuchtturm und den Salinen von Fuencaliente gehört zu den empfehlenswerten Touren. Der Weg windet sich durch die längst erkalteten Lavaströme der Vulkane San Antonio und Teneguia bis hinunter an den Atlantik. Kaum ein Mensch begegnet uns auf dem Fußmarsch durch die spärliche Vegetation. Das ändert sich erst unmittelbar vor unserem Ziel, denn unten am Leuchtturm finden die Mietwagen der zahlreichen Besucher wieder ausreichend Parkraum.
Eine vollkommen andere Welt erlebt, wer in die Lorbeerwälder im Nordosten der Insel eintaucht. Die üppige, urwaldartige Vegetation „melkt“ die Wolken, die der Passatwind gegen die steile Küste treibt. Eine Wanderung durch den Talkessel Cubo de la Galga lässt fast vergessen, dass man sich auf einer ansonsten trockenen und steinigen Vulkaninsel befindet. Mannshohe Farne verjüngen den Weg zu einem schmalen Pfad, der sich hinauf bis zum Mirador de la Somada Alta windet. Von hier aus öffnet sich der Blick über die Küste und das dicht bewachsene Biosphärenreservat Los Tilos – wenn die Wolken es zulassen.
Eine neue, schnurgerade Straße durchschneidet im Westen La Palmas das riesige Lavafeld, das der Vulkan Tajogaite, während seines dreimonatigen Ausbruchs im Jahr 2021, hinterlassen hat. In der Ferne sind die Reste von Gebäuden und Bananenplantagen zu sehen, die der Lavastrom nicht ganz verschlungen hat. Der Zugang zu den Ferienorten Puerto Naos und La Bombilla ist nach wie vor, wegen austretender vulkanischer Gase, auch für die evakuierten Bewohner verboten. Der Tajogaite ist, als neue „Hauptattraktion“ der Insel, das Ziel vieler Touristen, die sich im Rahmen einer geführten Wanderung gruseln dürfen. Wir meiden diesen Ort, an dem zwar niemand zu Schaden kam, an dem aber viele Existenzen zerstört wurden. Ein wenig Demut ist angebracht, im Angesicht einer Naturgewalt, der der Mensch hilflos ausgeliefert ist.
Der Höhepunkt eines Urlaubs auf La Palma ist zweifellos, die Wanderung über die Cumbre Vieja. Vom Refugio del Pilar führen knapp achtzehn anspruchsvolle Wanderkilometer über das gesamte vulkanische Rückgrat der Insel bis nach Los Canarios. In einem Höhenband von 1.400 bis 1.800 Metern schlängelt sich ein Pfad an zahlreichen „schlafenden“ Vulkanen vorbei, deren letzte Eruptionen erst fünfzig Jahre zurückliegen – in erdgeschichtlicher Dimension kaum ein Wimpernschlag. Beim Blick in die Krater und Spalten wirkt es so, als ob Birigoyo, Hoyo Negro, Duraznero und Co. nur eine kurze Pause machen, bevor sie wieder zum Leben erwachen. Hier oben, hoch über dem Atlantik, hat die Vegetation bislang nicht so richtig Fuß fassen können. Schutzlos ist man Wind und Sonne ausgesetzt. Aber der Anblick der unwirklich anmutenden, mondähnlichen Landschaft und der spektakuläre Ausblick auf den Atlantik und die Nachbarinseln Teneriffa, La Gomera und El Hierro lohnen jede Mühe.
Als ich mich im Flugzeug wieder in meinen Sitz falte bleibt das Gefühl, nicht alles gesehen zu haben. Es gäbe noch so viel zu entdecken. Wir müssen zwingend noch einmal zurückkehren, auf die Isla Bonita.