Land der tausend Hügel
Die Region Kraichgau – Stromberg
Das Land der „Tausend Hügel“ – eine Bezeichnung die ich bisher nur mit Ruanda in Verbindung bringen konnte. Die hügelige Landschaft des kleinen zentralafrikanischen Landes wird häufig mit der französischen Entsprechung „Mille Collines“ beschrieben. Eine Fernreise nach Afrika wäre im Coronajahr 2021 allerdings eher eine Utopie. So führt uns der erste größere Ausflug nach Aufhebung der rigiden Ausgangsbeschränkungen wieder einmal in die unmittelbare Nachbarschaft. Die Region Kraichgau-Stromberg, das Land der Tausend Hügel lockt uns mit den Themen: Wandern und Wein.
Von den Weinterassen des Strombergs öffnet sich ein Panoramablick über Streuobstwiesen, Getreidefelder, Weinberge und Wälder. Kleine Dörfer spitzen aus den Mulden zwischen unzähligen Hügeln hervor. Das Panoramaweingut „Baumgärtner“ trägt seinen Namen zu Recht. Allerdings werben die Eigentümer nicht nur bei „Landvergnügen“ für ihren Betrieb sondern sie sind auch auf anderen gängigen Camping-Portalen vertreten. Das führt nun zu Überschneidungen bei den Reservierungen. Durch ein „geschicktes Stellplatz-Management“ können die Überschneidungen allerdings entwirrt werden und alle Ankömmlinge finden einen Platz. Es ist unsere erste Tour mit „Landvergnügen“, einer Plattform, die – ähnlich dem französischen Vorbild „France Passion“ – kostenlose Übernachtungen bei landwirtschaftlichen Betrieben vermittelt.
Es ist eigentlich eine geniale Marketing-Idee: Die Camper können vierundzwanzig Stunden kostenfrei stehen und haben in unserem Fall sogar Zugang zu Strom, Wasser und WC. Im Gegenzug profitieren die Gastgeber von der Kauflaune ihrer Gäste. Eine für alle Beteiligten profitable Situation. Unsere Winzerin bestätigt, dass nach Lockerung der Restriktionen alle Dämme zu brechen scheinen. Sie würden regelrecht überrannt. Während der strengen Ausgangsbeschränkungen und touristischen Übernachtungsverbote hat sich wohl einiges aufgestaut.
Am nächsten Morgen müssen wir leider weiter. Wir hätten hier in Hohenhaslach natürlich kostenpflichtig verlängern können – zehn Euro sind wahrlich kein überhöhter Preis für die gebotene Leistung – aber wir wollen noch mehr von der Region sehen. Außerdem möchten wir noch weitere Erfahrungen mit „Landvergnügen“ sammeln.
Die Weinberge des Stromberg eskortieren uns auf unserem weiteren Weg in Richtung Westen. Unser Ziel ist ein Bio-Bauernhof in der Kraichgau-Gemeinde Oberderdingen. Leider sind die Jungbauern, die mit dem Pestizidfreien Anbau alter Getreidesorten werben, nicht anwesend und auch telefonisch sind sie nicht erreichbar. Über Umwege erhalten wir dann doch die Genehmigung, uns auf einer kleinen Wiese neben der Pferdekoppel niederzulassen.
In der Nachbarschaft sind wir schnell akzeptiert. Zwei weiße Hengste beäugen uns zunächst neugierig, um sich dann wieder dem saftigen Gras zuzuwenden. In Sichtweite unseres Stellplatzes lockt das „Derdinger Horn“ mit seiner Aussichtsplattform und einem Schaugarten zum Thema „Weinanbau“. Was sich ein wenig nach alpinistischer Herausforderung anhört, ist in Wahrheit eine leichte Wanderung mit moderaten Steigungen. Auf dem Plateau dürfen wir uns allerdings der Illusion hingeben, weit mehr Höhenmeter bewältigt zu haben. Der Ausblick ist einfach phänomenal. Hier oben wäre ein idealer Platz für einen „Sundowner“, aber leider haben wir nichts dabei.
Erst spät abends versiegt der Strom der Ausflügler, die mit dem Auto bis hinauf zur Aussichtsplattform fahren. Es mutet an, als sei es unschicklich, auch nur einen Höhenmeter zu Fuß zurückzulegen. Die Pferde wurden mittlerweile von der Weide geholt. Es wird ruhig auf dem Bio-Bauernhof. Nur kurz stört eine vierköpfige Familie die Stille, als sie mit einem kleinen Kombi und Dachzelt neben uns Stellung bezieht. Das kleine Auto wird nachtauglich umgebaut, die Kinder strolchen noch ein wenig auf der Wiese herum und dann ist wirklich Ruhe.
Unser nächstes Ziel auf unserer Kraichgau-Tour ist das hübsche mittelalterliche Städtchen Bretten. Auf einem Rundgang durch die Altstadt sind die Hinweise auf den berühmtesten Sohn der Stadt unübersehbar. Philip Melanchthon, ein wichtiger Wegbegleiter Martin Luthers, wurde hier 1497 geboren. Ein Besuch des Melanchthon-Hauses vermittelt Wissenswertes über das Leben und Wirken des Reformators.
Der Tag und damit die Tour klingen auf dem Michaelsberg bei Bruchsal aus. Am westlichen Rand des Kraichgaus genießen wir ein ein Nahezu-Vollkreis- Panorama. Vom Odenwald im Norden reicht der Blick über die Pfälzer Berge und die Vogesen bis zu den nördlichen Ausläufern des Schwarzwaldes. Nur im Rücken begrenzt die kleine Michaelskapelle die Aussicht. Die untergehende Sonne bringt den Merlot in unseren Gläsern zum Glühen. Es wäre wirklich schade, wenn wir bald wieder nur noch ferne Reiseziele ins Auge fassen und die Schönheit unserer unmittelbaren Umgebung vergessen würden.