Sehnsuchtsort Bretagne

Sehnsuchtsort Bretagne

Von der alten zu neuen Hauptstadt der Bretagne

„Breizh eo ma bro“ (Die Bretagne ist mein Land), so bringt der bretonische Barde Alan Stivell sein Heimatgefühl zum Ausdruck. Wer dieses felsige Ende Frankreichs mit seinen windumtosten Küsten, den trutzigen Granithäusern und den rätselhaften Menhiren besucht hat, kann vermutlich diese Liebeserklärung nachvollziehen. Auch uns zieht es wieder an den „Sehnsuchtsort Bretagne“, um Landschaften, Küsten und Orte zu entdecken, die wir bislang nicht gesehen haben.

Von der alten zur neuen Hauptstadt, das klingt etwas bedeutsamer als es eigentlich ist. Nantes war bis zur Eingliederung des Herzogtums Bretagne in das französische Königreich dessen historische Hauptstadt. Ein genaues Datum, wann Rennes diese Rolle übernommen hat, ist nicht eindeutig zu ermitteln. Fest steht allerdings, dass die „Vichy-Regierung“ im Jahr 1941 das Department Loire-Atlantique mit seiner Hauptstadt Nantes von der Bretagne abgespalten hat. Seit 65 Jahren gehört das Department der Region Pays de la Loire an. Die Mehrheit seiner Bewohner befürwortet allerdings die Wiedereingliederung in die Bretagne und bezeichnet Nantes „im Herzen noch als die Hauptstadt der Bretagne“.

Wir sind nicht zum ersten Mal in Nantes und könnten eigentlich unsere Favoriten für einen erneuten Besuch herausfiltern. Dennoch folgen wir vom Bahnhof aus der gelben Linie auf dem Straßenpflaster, die uns an allen Sehenswürdigkeiten der Stadt vorbeiführt. Am „Château des Ducs de Bretagne“, dem Schloss der Herzöge, vorbei geht es durch die hübschen Gassen des Altstadtkerns Bouffay. Einen heftigen Regenschauer können wir in der in der überdachten Pommeraye-Passage abwettern. Hier lohnt es sich auf jeden Fall, nicht nur die drei Etagen der Galerie aus dem 19. Jahrhundert zu bestaunen sondern auch in die hübschen Geschäfte hineinzugehen.

Wie beim letzten Mal schauen wir auch dieses Mal bei „Les Machines de lÍle“ auf der Loire-Insel vorbei. Und genau wie damals können wir auch diesmal die skurrilen Fahrgeschäfte und den riesigen mechanischen Elefanten nicht in Aktion erleben – es ist Montag.

Den bekanntesten Sohn von Nantes, Jules Vernes, den kannten wir bereits. Jean-Romain Lefèvre war uns allerdings bisher unbekannt. Er gründete im Jahr 1846 in der Rue Boileau eine Zuckerbäckerei, die nach seiner Heirat mit der geschäftstüchtigen Pauline-Isabelle Utile in „Pâtisserie Lefèvre Utile“ umbenannt wurde. Aus dieser kleinen Keksfabrik entstand im 19. Jahrhundert eine der größten Produktionsstätten für Süßwaren Frankreichs, besser bekannt unter dem Firmennamen „LU“. Die Fabrik in Nantes hat schon lange ausgedient. Die historischen Gebäude beherbergen heute ein Kulturzentrum und können, ebenso wie der pittoreske Turm, besichtigt werden.

Die Halbinsel Guérande hat zwei unterschiedliche Gesichter. Da gibt es die flache, vom Atlantik abgewandte Lagune mit ihren ausgedehnten Salzgärten, die für viele Vogelarten nahezu paradiesische Lebensbedingungen schafft. Auf der Westseite hat der Atlantik die „Côte Sauvage“ mit ihrer wilden Steilküste und den drin eingebetteten Sandbuchten geformt. Dass die Halbinsel auch in der Nachsaison ein beliebtes Touristenziel ist, bekommen wir sehr schnell zu spüren. An den Hafenpromenaden von La Baule, Le Pouliguen und Le Croisic drängen sich die Menschen. Die Plätze vor den Bistros und Straßencafés sind ausnahmslos belegt und dass eine Kugel Eis 3,50 Euro kostet, scheint auch niemanden abzuschrecken.

Es ist offensichtlich, dass sich die Bewohner der Halbinsel mit ihrer bretonischen Vergangenheit und deren Kultur identifizieren. Überall herrscht der bretonische Baustil vor, wehen die Fahnen der Bretagne und die Straßen- und Ortsschilder sind zweisprachig. Es drängt sich wahrlich die Frage auf, warum Nachkriegsregierungen das Unrecht der Abspaltung nicht wieder rückgängig gemacht haben.

Größter Ort und Namensgeberin ist Guérande. Hier dreht sich das wirtschaftliche Leben seit dem Mittelalter um das Meersalz aus den vorgelagerten Salzgärten. Den Touristen, die auch hier in Massen durch die Gassen der befestigten Altstadt strömen, wird allerorten das Salz in seiner edelsten Form, als „Fleur de Sel“, angeboten. In den Souvenir-Shops und der Touristeninformation kann man geführte Touren durch die Salzgärten buchen. Es ist ein hübsches Städtchen aber kein besonders besinnlicher Ort.

Unsere diesjährige Reise-Philosphie ist, die uns unbekannte Bretagne zu erkunden. So lassen wir durchaus lohnende Reiseziele wie den Golf von Morbihan, die Städte Lorient, Vannes, Quimper und andere aus und starten durch bis zum südwestlichen Ende des Departement Finistère. In Penmarch zeigt sich die Bretagne von ihrer rauen und ursprünglichen Seite. Der Atlantik rollt fast wütend gegen die felsige Küste. Zahlreiche Schilder warnen davor, dem Meer zu nahe zu kommen. Und dennoch wagen sich an den Stränden von Saint Guénolé wagemutige Surfer hinaus in die Wellen.

Wer aber nur an der Küste bleibt, verpasst das ein oder andere Kleinod im Hinterland. Einen Besuch lohnt insbesondere die gotische Kapelle „Notre-Dame de Tronoën“ mit dem ältesten „Calvaire“ (Kruzifix mit Darstellung biblischer Personen und Szenen) der Bretagne.

In der Nähe von Plozévet können wir erstmals direkt am Stand stehen. Ein Parkplatz für autarke Wohnmobile, ohne Serviceleistungen nimmt uns für die nächsten zwei Tage auf. Wir stehen hier mit nur einigen wenigen Campern und genießen den Blick auf das Meer, untermalt von der tosenden Brandung. Das Tagesprogramm wird bestimmt durch ausgedehnte Spaziergänge entlang der Küste und „Aufs-Meer-Starren“. Das ist Campen, so wie wir es lieben.

Die Halbinsel Crozon verdankt ihren Namen ihrer kreuzartigen Sihouette, die südlich von Brest weit in den Atlantik ragt. Wegen ihrer vielen Facetten wird sie auch gerne als die „Kleine Bretagne“ bezeichnet. Und tatsächlich gibt es hier nahezu alles, wofür die Bretagne bekannt ist: raue felsige Steilküsten, versteckte sandige Badebuchten, typische bretonische Dörfer und natürlich reichlich Möglichkeiten für nahezu jede Form des Wassersports. Zu Fuß, auf dem Küstenwanderweg oder mit dem Fahrrad lassen sich alle landschaftlichen und kulturellen Sehenswürdigkeiten der Kreuz-Halbinsel erkunden.

Die Presqu’île de Crozon würde eigentlich einen mehrwöchigen Aufenthalt lohnen. Es gibt einfach viel zu entdecken. Wir müssen leider eine Auswahl treffen und wählen als unseren persönlichen Höhepunkt das Cap Pointe de Dinan. Eine Rundwanderung eröffnet atemberaubende Blicke auf eine zerklüftete Steilküste mit abenteuerlich geformten Felsformationen. Von hier aus reicht der Blick hinüber zu den zwei andere Kaps der Halbinsel Crozon, der Pointe de Penhir und dem Cap de la Chèvre.

Bei früheren Besuchen haben wir um Morlaix einen Bogen gemacht. Zu Unrecht, denn die hübsche mittelalterliche Städtchen ist einen Besuch wert. Über der Altstadt spannt sich das sechzig Meter hohe Viadukt aus dem 18. Jahrhundert, das auch heute noch von der französischen Eisenbahn genutzt wird. Direkt unter den imposanten Rundbögen beginnt der samstägliche Markt. Hier bestätigt sich einmal mehr die Erkenntnis, dass dort, wo sich lange Warteschlangen bilden, stets Köstliches angeboten wird.

Die Granite Rose ist die Ausnahme auf unserer Reise. Wir besuchen diesen einfach unvergleichlichen Küstenabschnitt in der nördlichen Bretagne zum zweiten Mal. Ab Trebeurden öffnen sich viele Buchten, die von rundgeschliffenen rosa Granitbrocken gesäumt werden. Der Tidenhub von zwölf Metern sorgt dafür, dass sich das Wasser fast vollständig von der Küste zurückzieht und die vorgelagerten Inseln teilweise zu Fuß erreichbar sind.

Der Große Küstenwanderweg (GR 34), der alte Zöllnerpfad, schlängelt sich auf seinen knapp 2.000 Kilometern Länge einmal komplett um die Bretagne und lässt dabei keine der zahllosen Buchten aus. Die Umrundung jeder Landspitze eröffnet neue Perspektiven. Bunte Fischerboote liegen auf dem Schlick, auf kleinen, felsigen Eilanden thronen Herrenhäuser und Leuchttürme. Wir könnten noch stundenlang weitermarschieren, müssen aber an den Rückweg denken. Es bleibt definitiv noch viel zu entdecken, das einen weiteren Aufenthalt an der Granitküste erfordert.

Schweren Herzens nehmen wir Abschied von der Granit Rose und wenden uns den „inneren Werten“ der Bretagne zu. Rennes, die Hauptstadt der Bretagne, liegt 70 Kilometer von der nächstgelegenen Küste bei Saint-Malo entfernt. Etwas außerhalb von Rennes, zwischen dem Stadteil Chantepie und dem kleinen mittelalterlichen Städtchen Châteaugiron finden wir einen schönen Stellplatz auf dem „Camping La Ferme de Soevres“. Auf dem ehemaligen Bauernhof gibt es nur sechs Stellplätze. Der Empfang ist herzlich, die sanitären Einrichtungen sind spartanisch aber die Atmosphäre ist einfach urig.

Der Camping “ La Ferme“ ist ein idealer Ausgangspunkt für Exkursionen nach Rennes. Wir satteln die Vespa und machen uns auf, die bretonische Hauptstadt zu erkunden. Schon in den Außenbezirken bedauern wir, dass der öffentliche Nahverkehr für uns nicht nutzbar ist. Der Verkehr ist leicht chaotisch und die Situation wird durch zahllose Baustellen zusätzlich verschärft.

Es ist wohl der letzte Sommertag in dieser Saison. Bei knapp dreißig Grad lassen wir den Roller vor dem städtischen Hallenbad aus dem 19. Jahrhundert stehen und tauchen in die Altstadt ein. Der Kontrast könnte nicht größer sein. Junge Menschen bestimmen das Stadtbild vor dem Hintergrund alter, vielfach dem Verfall preisgegebener Gebäude. Die Einkaufsmeile ist schön hergerichtet, aber die zweite Reihe dahinter hat einen gewissen Nachholbedarf. Rennes ist eine lebhafte Stadt mit einem – wenn auch etwas morbiden – Charme. Sie ist unprätentiös, kein Touristenmagnet und dennoch liebenswert.

Ein heftiges Gewitter beendet in der folgenden Nacht den Sommer und bereitet den Weg für den Herbst. Während der langen, stürmischen Heimreise haben wir reichlich Gelegenheit, unsere diesjährige Reise Revue passieren zu lassen. Wir haben Versäumnisse der letzten Reise nachgeholt und das felsige Ende Frankreichs neu entdeckt. Bekanntes haben wir aus einer anderen Perspektive erleben dürfen. Wir wissen, dass wir wiederkommen müssen, denn „Breizh eo ma bro“, die Bretagne bleibt unser Sehnsuchtsort.

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