Toujours Provence

Toujours Provence

Erinnerungen an eine Zeit des unbeschwerten Reisens

Zugegeben, der Titel ist einem Roman des englischen Schriftstellers Peter Mayle entliehen. Knapper kann ich meine Verbundenheit mit dieser südfranzösischen Landschaft auch nicht zum Ausdruck bringen. Viele Male waren wir schon hier und entdecken doch immer wieder Neues. Bei unserer vorerst letzten Frankreichreise hatten wir eigentlich das Departement Pyrénées Orientales im Blick. Wir wollten die Pyrenäen vom Mittelmeer bis zum Fürstentum Andorra erkunden. Aber daraus wurde nichts. Wir sind – mal wieder – in der Provence hängengeblieben.

Fast hätten wir es noch nicht einmal bis in die Provence geschafft. Auf unserer Route Richtung Süden durchqueren wir, kurz nach Grenoble, den Naturpark „Vercors“ (Parc naturel régional du Vercors). Ein niedriges Hügelplateau zwischen den höchsten Gipfeln dieses Kalksteingebirges und den Schluchten des Drac nötigt uns zu einem außerplanmäßigen Zwischenstopp.

„Sucht euch einen Platz aus!“ Diese Anweisung hören wir nur zu gerne, wenn wir einen Campingplatz ansteuern. Auf der bewaldeten Kuppe von „La Chabannerie“ in Saint Martin de Clelles sind nur wenige Stellplätze belegt und die Auswahl somit groß. Eine wesentliche Voraussetzung dafür, die „Überdosis Natur und Landschaft“ ohne Zeitlimit genießen zu können, ist allerdings eine vorausschauende Vorratshaltung. Lebensmittelgeschäfte sind hier nämlich ausgesprochen rar und das Angebot des platzeigenen Shops sehr begrenzt. So ist dann auch der Proviantbedarf ausschlaggebend dafür, die Reise fortzusetzen.

Der „Col de l´Homme Mort“ (Pass des toten Mannes) markiert den Übergang vom gebirgigen, waldreichen Departement Drôme in den weiten und offen Vaucluse. Es bedarf keiner Beschilderung, wenn nach einer kurvenreichen Passage, der Blick das Einhundertachtzig-Grad-Panorama – von der blank gewetzten Kuppe des Mont Ventoux bis zu den Montagne de Lure – einfangen kann. Wir sind da.

Unweit des kleinen Städtchen Sault liegt die Gemeinde Saint Christol. Die am Ortsrand gelegene Garnison der Fremdenlegion beherbergt vermutlich mehr Soldaten als das verschlafene Dorf Einwohner hat. Es sieht nicht danach aus, als würden sich viele Touristen in diesen entlegenen Winkel der Provence verirren. Dennoch wurde hier viel Arbeit in einen, von großen Bäumen beschatteten „Camping Municipal“ investiert. Für uns ist dieser Platz ein idealer Ausgangspunkt für Radtouren in der näheren Umgebung.

Nicht weit von Sault entfernt hat sich das kleine Flüsschen Nesque eine beeindruckende Schlucht (Gorges de la Nesque) gegraben. Bis zu dreihundert Meter fallen die Kalksteinflanken vom Hochplateau, nahezu senkrecht, in die Tiefe. Wohnmobilisten sollten die Höhenbegrenzungen, die für eine Nutzung der D942 gelten, ernst nehmen. Die kleine Panoramastraße beginnt harmlos, verschärft aber die Transitbedingungen zunehmend. Insbesondere die in den Fels gegrabenen Durchfahrten können im Einzelfall ein abruptes Ende der Fahrt erzwingen. Das Parken oder Wenden ist nur an ganz wenigen Stellen möglich und der Ärger mit nachfolgenden Verkehrsteilnehmern programmiert.

Den südlich von Carpentras gelegenen Ort Pernes-Les-Fontaines betreten wir durch das gewaltige Stadttor „Port de Villeneuve“. Der Zusatz „Die Quellen“ im Ortsnamen ist Programm. Vierzig öffentliche Brunnen verteilen das Wasser der St.- Roch-Quelle in der gesamten Altstadt. Selbst in den heißesten Sommern muss hier niemand Durst leiden. Am Flussufer der Nesque reihen sich bunte Verkaufsbuden aneinander. Heute ist Markttag und es ist immer wieder ein ganz besonderes Erlebnis, über einen typisch provenzalischen Markt zu schlendern. Mit unserer „Beute“, den typischen lokalen Spezialitäten wie Käse, Oliven, Lavendelhonig und „Fougasse“ (provenzalische Backware) nisten wir uns auf dem Camping Municipal „Les Chalottes“ im nahegelegenen Örtchen Mur ein.

Der Luberon ist, wie wir wissen, einer der touristischen Hotspots in der Provence. Jetzt, Anfang September, ist das Gedränge in den schmucken Städtchen und Gemeinden im Petit Luberon allerdings nicht mehr ganz so groß, wie während der Hauptsaison. Es spricht also nichts gegen einen ausgedehnten Rundgang durch die Altstadt von Bonnieux. Von der Alten Kirche (Vieille Eglise), die hoch über der Altstadt thront, bietet sich ein grandioser Ausblick bis hin zum alles überragenden Mont Ventoux.

Wir zwängen uns durch den Combe de Lourmarin, eine Schlucht, die den kleinen vom großen Luberon trennt und erreichen das Tal der Durance. Unser nächstes Ziel ist die historische Hauptstadt der Provence: Aix-En-Provence.

„Je monte, je valide“, (einsteigen und entwerten) ist der Slogan, mit dem mittlerweile in fast allen Städten Frankreichs für die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel geworben wird. Der Kunde erwirbt eine aufladbare Karte und „erleichtert“ diese bei Fahrtantritt um den jeweiligen Fahrpreis. Das Tarifsystem ist sehr einfach und kostengünstig. Kein Vergleich zu dem komplizierten Zonen- und Wabengeflecht im Dschungel des deutschen ÖPNV. In Frankreich haben wir noch nie einen Gedanken daran verschwendet, mit dem eigenen Fahrzeug in die Innenstädte zu fahren.

„Aix“, wie sie von ihren Einwohnern kurz genannt wird, ist eine junge Stadt. Das bezieht sich allerdings nicht auf ihre Geschichte, denn die Stadt wurde bereits im zweiten Jahrhundert vor Christus von der römischen Besatzungsmacht gegründet. Es ist vielmehr die hohe Anzahl an Studenten, die den lebhaften Charakter dieser bunten Stadt prägt. Die Mischung von Geschichte, Kultur und Lebensfreude machen den Aufenthalt in Aix-En-Provence zu einem unvergesslichen Erlebnis.

Es ist wohl in Aix passiert, dass unsere Reisepläne angepasst wurden. Wir haben die Pyrenäen als Ziel aufgegeben und wenden uns der Mittelmeerküste in der Umgebung von Marseille zu. Die Côte Bleue, ein nur 25 Kilometer langer Küstenstreifen, vor den Toren der zweitgrößten Stadt Frankreichs zieht uns jetzt an. Die Steilküste mit ihren tief in den Kalkstein-Fels gegrabenen Buchten (Calanques) und dem kristallklaren, blauen Wasser ist ein Kleinod an der französischen Mittelmeerküste.

Der Zustrom der Menschenmassen während der Ferien und an Wochenenden verwandelt das Paradies allerdings leicht in eine überlaufene Hölle. Der Wohnmobilstellplatz am Hafen von Carro ist einer der grässlichsten, den wir bislang gesehen haben. Die Küste bei Sausset-Les-Pins ist mit Feriendomizilen vollständig zubetoniert. Auf der anderen Seite der Halbinsel liegt der Étang de Berre. Wer bei einer Küstenwanderung den Fischerort Carro passiert hat, entdeckt unmittelbar nach Umrundung der Landzunge nur noch Industrieanlagen und Raffinerien. Ein Großteil der Erdölversorgung der Nation erfolgt über den Hafen von Marseille. Der Geruch von Benzin liegt in der Luft. Das klingt jetzt nicht wirklich gut. Aber der Rest – und das sind immerhin noch etwa zwanzig Küstenkilometer – ist wunderschön.

Wir quartieren uns auf dem Campingplatz „Les Mouettes“ in Les Tamaris ein. Seit dem Ende der französischen Sommerferien gibt es wieder freie Plätze und die Preise sind moderat. Frei stehen ist an der Côte Bleue keine Option. Von unserem Stellplatz direkt an der Steilküste geht der Blick über das Meer bis nach Marseille. Nur wenige Schritte sind es, bis zu einem Logenplatz für den allabendlichen Sundowner. Den Trittsicheren sei eine Wanderung über den Sentier du Douanier (Pfad der Zöllner) empfohlen, dem einzigen landseitigen Zugang zu den schönsten Calanques. Die liegen im unzugänglichen östlichen Abschnitt der Halbinsel und sind nur zu Fuß oder mit dem Boot erreichbar. Der „Train de la Côte Bleue“ ermöglicht dabei Einwegtouren oder ein Aussparen weniger attraktiver Küstenabschnitte. Auch ein Ausflug in die Küstenmetropole Marseille verliert mit dem Nahverkehrszug seinen „verkehrstechnischen Schrecken“.

Nachdem der Mistral – ein kalter, heftiger Nordwestwind – sein zermürbendes Werk beendet hat, treten wir die Weiterreise an. Die hässlichen Industriezonen rund um Port-De-Bouc und Fos-Sur-Mer treiben uns an, diese Region schnell hinter uns zu lassen. Bald stehen wir an der Rhone und warten auf die Fähre. Auf der anderen Seite wollen wir uns die größten Salzgärten der Camargue, die Saline du Midi anschauen. Zudem reizt uns die Möglichkeit, auf dem riesigen Areal Flamingos beobachten zu können. Aber wir werden enttäuscht. Die Zufahrt zur Saline ist gesperrt, Informationen über Öffnungszeiten gibt es nicht.

Auf der Weiterfahrt nach Saintes-Maries-De-La-Mer passieren wir einen der größten Salzwasserseen der Camargue, den Étang de Vaccarès. Hier gelingt es uns dann doch, die für die Region typischen, rosafarbenen Flamingos aufzuspüren. Das „Bête du Vaccarès“, ein Mischwesen aus Mensch und Ziege, das nach dem Volksglauben an diesen Seeufern sein Unwesen treiben soll, können wir aber nicht entdecken.

Saintes-Maries ist ein Wallfahrtsort der hauptsächlich spanischstämmigen Roma (Gitans). Zweimal im Jahr pilgern sie zur mittelalterlichen Wehrkirche Notre-Dame-de-la-Mer, um die Schutzheiligen der Sinti und Roma (schwarze Sara, Maria Kleophas, Maria Salome) zu ehren. Uns gelingt es allerdings nicht, bis zum Schauplatz des Marienkultes vorzudringen. Trotz Nachsaison herrscht hier das touristische Chaos – kein Durchkommen. Wir treten den Rückzug an.

Aigues-Mortes (Tote Wasser) ist eine der größten, vollständig erhaltenen Festungsstädte. Im 13. Jahrhundert als Hafenstadt gegründet, liegt sie, bedingt durch die Verlandung der Flachwasserzonen, heute sechs Kilometer vom Meer entfernt. Schon von weitem sehen wir die imposante „Bastide“, die von einer massiven Mauer umschlossen wird. Den Zugang zur Altstadt gewähren zehn Tore, die zum Teil von gewaltigen Türmen flankiert werden. Leider ist auch hier der touristische Trubel groß und ein entspanntes Flanieren nur in den Seitengassen möglich.

In Aigues-Mortes endet für uns die Camargue und wir verabschieden uns von der Küste. Uns erwartet die alte Römerstadt Nimes. Es ist immer wieder erstaunlich: die kleinen Gemeinden in Frankreich verwöhnen Camper mit liebevoll angelegten und preislich äußerst attraktiven Camping Municipal. In den größeren Städten hat so etwas Seltenheitswert. Meist werden Reisemobilisten weit außerhalb und zu deutlich höheren Preisen geparkt. Nimes ist in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Der einzige Campingplatz „La Bastide“ liegt weit außerhalb der Stadt, ist ziemlich teuer und hinsichtlich der Qualität seiner sanitären Einrichtungen eher unterer Durchschnitt. Aber die Verkehrsanbindung ist gut. Mit Bus und Tram sind wir schnell im Zentrum. Ein Besuch des Touristenbüros ist unerlässlich bei der Planung des Stadtrundganges. Es gibt einfach so viel zu sehen. Erste Priorität beim Besichtigungsprogramm haben natürlich die beeindruckenden Baudenkmäler aus römischer Zeit. Das nach dem Vorbild des Colosseum in Rom erbaute Amphitheater, das Maison Carrée, der Tour Magne, das Wasserkastell und die Jardins de la Fontaine mit dem Diana-Tempel. Zusätzlich buhlen Kirchen, Museen und die Altstadt mit ihren Barockbauten um Aufmerksamkeit. Am Abend sind wir platt.

Eine Fahrt in die südlich von Avignon gelegene Bergkette der Alpillen verschafft den Füßen die dringend erforderliche Ruhepause. Das schroff aus der Rhone-Ebene aufragende Gebirge trägt auf seinem Südhang die Festungssiedlung Les-Baux-des Alpilles. Der mittelalterliche Ort lockt mit seiner exponierten Lage täglich Scharen von Touristen an. „Richtige“ Einwohner gibt es hier schon lange nicht mehr. Der Mangel an Parkplatz und der einsetzende Regen helfen uns bei der Entscheidung, weiterzufahren. Ziel und Endpunkt unserer diesjährigen Reise ist Avignon. Als Basis für einen mehrtägigen Aufenthalt in der Hauptstadt des Vaucluse wählen wir den Campingplatz „Bagatelle“ auf der „Ile de la Barthelasse“ in der Rhone. In fußläufiger Entfernung zum Stadtzentrum, in schöner Lage und vergleichsweise erschwinglich liegen gleich zwei Campingplätze nebeneinander. Man hat hier wirklich die Wahl.

„Sur le pont d’Avignon on y danse“, so beginnt ein französisches Volkslied, das auch hierzulande bekannt ist. Vermutlich hat nie jemand auf der Brücke getanzt sondern eher darunter. Die Insel Barthelasse, die früher von der berühmten Brücke noch überspannt wurde, war Standort eines Vergnügungsviertels. Avignon ist Vielen vermutlich noch aus dem Geschichtsunterricht ein Begriff – als Schauplatz des Avignonesischen Papsttums und des anschließenden großen abendländischen Schisma. Von 1305 bis 1376 residierten sieben Päpste, unter dem Druck der französischen Krone, nicht am Tiber sondern an der Rhône. In der anschließenden Phase der Glaubensspaltung gab es in der Zeit von 1378 bis 1417, zeitgleich jeweils zwei Päpste – einen in Rom, einen in Avignon.

Ein Rundgang durch den Papstpalast ist ein einzigartiges Erlebnis. Die gewaltige Residenz ist das größte gotische Bauwerk der Welt. Die Besucher werden mit Leih-Tablets bei ihren selbst durchgeführten Rundgängen unterstützt. Moderne GPS-gestützte 3-D-Technik spielt virtuelle Szenen in die reale Umgebung ein und vermittelt so einen Eindruck vom damaligen Leben innerhalb der mächtigen Mauern. Es empfiehlt sich, die Besichtigung am frühen Vormittag zu beginnen. Im Laufe des Tages wird die Warteschlange vor dem Eingangstor zunehmend länger. Frühe Besucher können sich zudem mittags in einem der zahlreichen Restaurants und Bistros in der Altstadt, bei einem „Menue du Jour“ stärken. Der Nachmittag bietet anschließend die Gelegenheit, weitere Sehenswürdigkeiten innerhalb der Stadtmauern zu entdecken.

In Avignon endete unsere letzte unbeschwerte („Prä-Corona“) Urlaubsreise. Die Erinnerung an beschränkungsfreies Übernachten, maskenloses Flanieren, Museums- und Restaurantbesuche ohne Abstandsregeln schmerzt ein wenig. Wir haben uns zwar im ersten Corona-Jahr an die neuen Regeln gewöhnt, aber der vollumfängliche Reisegenuss will sich auf diese Weise nicht einstellen. Wir wünschen uns, dass wir bald wieder Menschen begegnen dürfen ohne ihnen ausweichen zu müssen, dass wieder Hände geschüttelt werden und nicht Ellenbogen gegeneinander klopfen und dass wir gute Freunde wieder umarmen können. Auch der Anblick unmaskierter, lächelnder Gesichter wäre schön.

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