Italien – Fuori Stagione

Italien – Fuori Stagione

Das beliebte Reiseland im „Saisonalen Nirwana“ – reizvoll oder öde?

Das sommerliche Getümmel auf der Piazza del Campo in Siena, am Gardasee oder an den Stränden der toskanischen Maremma erfordert ein gewissen Maß an Leidensfähigkeit. In der Hochsaison bleibt der Wunsch nach entspanntem und weitgehend ungestörtem Urlaubsgenuss meist unerfüllbar. Kolonnenlaufen, Schlange stehen, horrende Parkgebühren, volle Strände, überfüllte Restaurants und ausgebuchte Campingplätze – das gehört einfach zum Sommerurlaub. Wie es wohl wäre, Italien eimal nur mit den Einheimischen teilen zu müssen und die touristischen Highlights ungestört genießen zu können. Jetzt, im November, müsste doch eigentlich die ideale Zeit für eine derartige Erfahrung sein. Wäre das vielleicht ein tragfähiges Reisekonzept oder fehlt am Ende doch etwas?

Die Strände sind menschenleer, die Campingplätze alle dicht, auf den Parkplätzen sind die Schranken offen. Die erste wichtige Erkenntnis gewinne ich gleich zu Beginn meiner Reise: Es ist überhaupt kein Problem, an der toskanischen Küste einen schönen Stellplatz zu finden. Meist locken im Spätherbst kommunale und private Betreiber von Stellplätzen mit besonders günstigen Tarifen. Zehn Euro inklusive Strom und Wasser verlangt der Eigentümer des „Agrisosta Orticillo“ in Riotorto, nahe der Hafenstadt Piombino. Es gibt zwar nur Außenduschen, aber das Wasser ist warm. Und ich bin alleine auf dem Platz, der in der Hochsaison bestimmt rappelvoll ist.

Ähnlich ergeht es mir an der wunderschönen Bucht von Baratti, die nur von ein paar wenigen Spaziergängern aufgesucht wird. Der Parkplatz gegenüber dem strandnahen Pinienwald ist nur bis Ende Oktober kostenpflichtig. Der Agricamping hat geöffnet und wird nur von einer Handvoll bayerischer Moutainbikern bewohnt, die im nahen Nationalpark ihre Leidenschaft ausleben können. Ich kann frei wählen, wo ich die Nacht verbringen möchte. Die weitläufigen Archäologie-Parks mit den sehenswerten Fundamenten etruskischer Siedlungen sind allerdings bis zum nächsten Frühjahr geschlossen. Da bleibt es bei einem sehnsüchtigen Blick über die Mauer.

Zuversichtlich wende ich mich nun dem toskanischen Hinterland zu. In dem mittelalterlichen Felsenstädtchen Massa Marittima entdecke ich, fußläufig zum historischen Ortskern, einen kostenfreien Stellplatz. Hier ist es allerdings auch ziemlich laut, weil die städtischen Busse um die geparkten Wohnmobilen herumkurven. In der sommers überfüllten Altstadt verlieren sich jetzt nur wenige Besucher. Vor den Cafés bleiben die meisten Stühle leer. Während der dreistündigen Mittagsruhe sind die Gassen wie ausgestorben. Als die Geschäfte wieder öffnen, beginnt leider schon die Abenddämmerung. Meine kleine Wanderrunde über den Felsen muss ich abkürzen, um vor der Dunkelheit wieder zurück am Wohnmobil zu sein. Da ist er, der erste Wermutstropfen. Das Tageslicht ist in dieser Jahreszeit eine knappe Ressource.

Ich versuche, meinen Biorhythmus dem aktuellen Sonnenlauf anzupassen. Eine zeitige Nachtruhe soll sicherstellen, dass mit Sonnenaufgang der Tag auch aktiv begonnen werden kann. Und bis 17 Uhr muss ich eine neue Bleibe für die Nacht gefunden sein, denn in der Dunkelheit wäre das eine unlösbare Aufgabe. Mit rund zehn Stunden Tageslicht kann ich bei der weiteren Routenplanung kalkulieren. So komme ich frühmorgens in den Genuss, die Ruine der Abtei „San Galgano“ vollkommen allein umrunden zu können. Am Nachmittag sitze ich im vierzig Grad warmen Schwefelwasser der „Bagni di Petriolo“ und habe im Anschluss noch ausreichend Zeit für einen frühen „Sundowner“ auf meinem aussichtsreichen Übernachtungsplatz unterhalb des Bergdorfes Pari.

Die weiteren Stationen auf meiner Reise bestätigen die wesentlichen Erfahrungen einer spätherbstlichen Italienreise. Gubbio, die schönste Stadt der Mittelitalienischen Region Umbrien, erlebe ich in einer mir bis dahin unbekannten Gelassenheit. Kaum Verkehr, freie Parkplätze (selbst die Parkscheinautomaten machen Winterpause) und nur einige wenige Besuchergruppen schlendern durch die malerische Altstadt. Und, obwohl einige Restaurants und Geschäfte über Winter geschlossen haben, gibt es überall noch ausreichend Gelegenheit zum Essen und Shoppen.

Nördlich von Gubbio folge ich der Superstrada (SS 452), die mich mitten durch den schroffen Gebirgszug des Apennin, in die Region Marken führt. Dabei fällt mir einmal mehr der stetige Verfall der italienischen Verkehrswege auf. Eine Straße, die eigentlich den Status einer Bundesstraße hat, ist übersät mit Asphaltflicken. Auf der talseitigen Straßenseite zwingt mich die abgesackte Fahrbahn immer wieder zu Ausweichmanövern. Den Italienern scheint dies nichts auszumachen. Sie brettern mit halsbrecherischer Geschwindigkeit über die maroden Buckelpisten.

In Aqualagna künden Straßensperrungen und zugeparkte Straßenränder von dem Top-Ereignis des Jahres. Auf dem Trüffelmarkt dreht sich alles um einen ganz besonderen Pilz, der den Feinschmeckern weltweit höchstes Entzücken bereitet. Ich gebe mich der naiven Vorstellung hin, auf meinen Streifzügen durch die Wälder im Naturpark „Gola del Furlo“ eine dieser schwarzen oder weißen Edelknollen finden zu können. Daraus wird natürlich nichts, denn ohne einen ausgebildeten Trüffelhund ist es nahezu unmöglich, an eines dieser muffig riechenden, wohlschmeckenden und sündhaft teuren Gewächse heranzukommen. Fündig werde ich erst auf dem Markt, aber die schmecken genauso gut, wie selbst gefunden.

Es ist doch immer wieder erstaunlich, wie schmal Italien eigentlich ist. Kaum dass ich das Tyrrhenische Meer hinter mir gelassen habe, treffe ich bei Pesaro auf die adriatische Küste. Die Tristesse der im vorgezogenen Winterschlaf erstarrten Küstenorte ist nicht nur auf das trübe, nasskalte Wetter zurückzuführen. Für mich wäre es auch bei sommerlichen Wetterbedingungen nicht vorstellbar, hier, zwischen Ancona und Cesenatico, meinen Urlaub zu verbringen. Allein der Naturpark „San Bartolo“ unterbricht mit seiner zerklüfteten Steilküste die betonierte Einöde. Mein Versuch, durch einen Abstecher nach San Marino, die dicke Wolkendecke unter mir zu lassen, scheitert. Ich stecke jetzt mittendrin. Mein Aufstieg in das historische Zentrum der „ältesten, noch existierenden Demokratie“ führt mich in eine undurchdringliche Nebelsuppe, die keinerlei Aussicht zulässt.

Anstelle der Straßenkarte leitet mich nun die Wetterkarte nordwärts, die Küste entlang. Zweitausend Jahre Stadtgeschichte machen Ravenna, unabhängig vom Wetter, zu einem lohnenden Etappenziel. Der zentrumsnahe kostenlose Parkplatz ist zwar ein idealer Ausgangspunkt für einen Besuch der Altstadt, wegen seiner Nähe zu einer stark befahrenen Bahntrasse aber kein idealer Übernachtungsplatz. Viel Ruhe finde ich auf einem Stellplatz direkt am Ufer des Po bei Piere di Coriano. Die Gemeinde bietet hier kostenfrei alles, was Durchreisende brauchen: einen schönen Platz mit Blick auf den größten Fluss der italienischen Halbinsel, Strom sowie alle Ver- und Entsorgungsmöglichkeiten.

Ich gebe zu, solange ich Italien bereise, habe ich die Poebene nur auf der Autobahn durchquert. Bei einem Ritt über die holprigen Provinzstraßen offenbart die flache, eintönige Landschaft durchaus reizvolle Ansichten. So manches Dorf, das ich durchquere, erinnert mich an Bosaccio, die fiktive Wirkungsstätte von Giovanni Guareschis Romanfiguren „Don Camillo und Pepone“. Deren Abenteuer wurde in den 1950er und 1960er Jahren, noch in Schwarzweiß, verfilmt.

Für einen Besuch der lombardischen Stadt Mantua hätte ich früher, auf der Durchreise in Richtung Toskana, die Autobahn nicht verlassen. Jetzt führt mich mein Weg quasi mitten hinein. Die alte Etrusker-Stadt, ist einer der Schauplätze in Shakespeares Tragödie „Romeo und Julia“, hier spielt die Verdi-Oper „Rigoletto“ und in der Zitadelle ließ seinerzeit Napoleon den Südtiroler Freiheitskämpfer Andreas Hofer hinrichten. Beeindruckend ist insbesondere die inselartige Lage der Altstadt, die von vier künstlich angelegten Seen umgeben ist. Auch in Mantua ist die touristische Lage sehr entspannt. Ein Parkplatz findet sich vor der Brücke über den Lago di Mezzo. Den weiteren Transport übernimmt ein kostenloser Shuttle-Bus.

Das Wetter bessert sich wieder und die zum Teil bereits schneebedeckten Gipfel der Alpen rücken immer näher. Es wäre sicherlich interessant, auch den nahen Gardasee in meine Reiseroute zu integrieren. Aber mein Ziel ist der etwas kleinere, östlich davon gelegene Lago d` Iseo. Mit seinen steil aufragenden Ufern und dem gewaltigen „Monte Isola“ mitten im See wirkt er fast wie ein norwegischer Fjord. Oberhalb von Marone finde ich einen tollen Stellplatz mit einer grandiosen Sicht auf den See. Meine überaus freundlichen Gastgeber versichern mir, dass sie in diesem Jahr eigentlich nicht mehr mit Gästen gerechnet hätten.

Die Topographie rundherum ist äußerst fordernd. Es geht entweder steil bergauf oder bergab, eine Umrundung des Sees scheitert an zu geringen Durchfahrtshöhen. Es ist ein Eldorado für Mountainbiker und Freikletterer – also eher nichts für Familien mit kleinen Kindern. Die sollten sich besser an den kleinen Seen zwischen Lecco und Como orientieren, an deren flachen Ufern einige Campingplätze die ideale Verbindung zwischen Straße und Wasser herstellen. Am Lago di Pusiano finde ich tatsächlich einen „Campeggio“, der nicht nur geöffnet hat, sondern zu dieser Zeit auch freie Platzwahl anbietet. Der Stellplatz Nummer 17 A wäre allerdings der, mit dem schönsten Seeblick und daher sehr zu empfehlen, meint die freundliche Rezeptionistin mit einem verschwörerischen Grinsen. Während der Hauptreisezeit hätte ich wohl keine Chance gehabt, hier stehen zu dürfen. Pünktlich um 17 Uhr schwindet das Tageslicht und mit einem spektakulären Sonnenuntergang endet meine Reise.

Mein Fazit zu meiner Reise „Italia Fuori Stagione“ kann ich kurz fassen. Ein beliebtes Urlaubsland außerhalb der Hauptsaison erleben zu können, ist äußerst reizvoll und bestimmt nicht öde. Kein Stress, kein Verkehr, überall Platz und viel Ruhe sind Attribute eines erholsamen Urlaubs. Wer die kurzen Tage, kühlere Temperaturen, viele geschlossene Sehenswürdigkeiten und eine gewisse Kontaktarmut in Kauf nehmen mag, ist außerhalb der üblichen Reisezeit sicherlich gut aufgehoben. Ich habe meine Zeit, die ich zwischen Tyrrhenischen Meer, Adria und den oberitalienischen Seen verbracht habe, in vollen Zügen genossen. Zukünftig würde ich allerdings für diese Region einen etwas früheren Reisetermin wählen – mit mehr Tageslicht, wärmeren Temperaturen und etwas mehr Mitmenschen.

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