VanLife in Zeiten von Corona
Mit angezogener Handbremse in die neue Camper-Saison
Ein Virus hat unser aller Leben verändert. „Ausgangsbeschränkung, Kontaktverbot und Lockdown“ sind Begriffe, die unseren Alltag in den vergangenen Wochen deformiert haben. Nur zögerlich kriechen wir zurück in ein „normales Leben“ – wie wir es vor Corona kannten. Es bedarf aber keiner prophetischen Gabe um zu erahnen, dass vermutlich nicht alles wieder so sein wird, wie früher. Mit Bangen schaut der und die Reisewillige daher in Richtung Sommer.
Auch den Campern hat’s den Start in die neue Saison gründlich verhagelt. Rigide Einreiseverbote in die beliebten Ferienregionen, geschlossene Campingplätze und verrammelte Landesgrenzen ließen bereits die österlichen Tourenpläne platzen. Niemand vermag die Frage zu beantworten, wann ein Reisen ohne Einschränkungen überhaupt wieder möglich sein wird. Der Sommerurlaub in Frankreich, Spanien oder Italien scheint gefährdet.
„Willst du immer weiter schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah.“ Diese Zeilen aus Goethes Vierzeiler „Erinnerung“ kommen mir in den Sinn, als ich die nähere Umgebung nach Stellplätzen scanne. Ich will raus, aber die aktuelle Situation nötigt mich dazu, meinen Aktionsradius radikal zu verkleinern. Wäre es mir ohne Corona überhaupt einen einzigen Gedanken wert gewesen, meine bevorzugten Reiseziele im Elsass, in der Bretagne oder Normandie zugunsten des Odenwalds aufzugeben? Mit Sicherheit nicht.
Ist es in diesen Zeiten überhaupt zulässig, Stellplätze in der Region oder gar Wanderparkplätze zu nutzen? Wir beruhigen unser Gewissen damit, dass wir uns ebenso unauffällig wie kontaktlos bewegen werden. Dass wir, der VanLife Philosophie folgend, keine Spuren hinterlassen und sogar vorgefundenen Müll abtransportieren werden. Wer sollte dagegen etwas haben können?
Der Motor unseres Gefährten ist kaum warm geworden, als wir ihn, knapp zwanzig Kilometer von unserem Wohnort entfernt, wieder abstellen und eine Höhenlage im kleinen Odenwald besetzen. In der Nachbarschaft nehmen Kinder, ihren Waldkinderspielplatz nach wochenlanger Abstinenz, mit lautem Jubel wieder in Besitz. Nach entbehrungsreichen Zeiten können wir uns – Kinder wie Erwachsene – selbst an kleinen Dingen erfreuen. Corona macht’s möglich.
Abstand halten ist auf den Rundwanderwegen kein Problem. Kaum ein Mensch kreuzt unseren Weg. Es scheint fast, als wäre die Region nur für uns reserviert. Rund herum nur stiller, grüner Wald. Ein Schwarzspecht-Pärchen sucht, ohne von uns Notiz zu nehmen, einen Buchenstamm nach Ameisen ab. Ich fühle mich ein wenig wie Alexander von Humboldt – auf Entdeckungsreise in unbekanntem Terrain. Oder sind wir am Ende vielleicht nur Gesetzlose, die sich vor Ordnungshütern verstecken müssen? Vermutlich verstoßen wir gegen irgendeine der aktuell bestehenden Ausgangsbeschränkungen und müssten mit drakonischen Strafen rechnen. Was für eine bizarre Zeit.
Nach der zweiten Nacht haben wir uns in unserem Dasein als „Outlaws“ ganz gut eingenistet. Wir bewegen uns weitgehend unbekümmert und genießen ein Stück der Freiheit, die uns in der letzten Zeit abhanden gekommen ist. Die Natur ist während des Lockdown offensichtlich ganz gut ohne uns zurecht gekommen. Sie hat sich sichtbar erholt und fast wirkt es, als fürchte sie unsere ungebremste Rückkehr. Wir haben unsere kurze Flucht genossen und werden auf jeden Fall zurückkehren – aber ganz behutsam und ohne weite Anreise.