Zwischen den Meeren

Zwischen den Meeren


Mit dem Fahrrad unterwegs von der Ost- zur Nordsee


Ich kann es kaum glauben: DJ Ötzi lebt in dem winzigen nordfriesischen Dorf Böxlund. Aber das ist nur eine der vielen Überraschungen, die ich auf meiner Tour entlang der deutsch-dänischen Grenze erlebe.

Von der Ostsee zur Nordsee ist es nicht weit. Nur etwa sechzig Straßenkilometer sind es von Flensburg bis nach Klanxbüll. Meine Erwartung an diese Etappe ist eher gering. Ich gehe von einer ebenso kurzen wie eintönigen und ereignisarmen Tour aus. Nach dem Start in Handewitt – der Grenzort zu Dänemark dürfte nur Handball-Fans und Skandinavien-Reisenden ein Begriff sein – tritt ein, was ich befürchte habe: Tristesse pur.

Meine bisher so hilfreiche „Orientierungs-App“ weiß auch keinen anderen Rat, als mir den Trip entlang einer stark befahrenen Bundesstraße zu empfehlen. Ich komme zwar zügig voran, aber der vorbeirauschende Verkehr lässt keinerlei Freude aufkommen. Ein Feldweg, der mit einem Hinweis auf das Jardelunder Moor lockt, verleitet mich zu einem Abstecher in die grenznahe Ödnis. Alles ist besser, als der schnurgerade Highway.

Der anfangs gut befahrbare Weg reduziert sich stetig bis zu einem grasbewachsenen Pfad. Das Fahrrad muss ich schieben, bis ich mit den Füßen im Morast zu versinken beginne. Myriaden von Libellen umschwirren mich, als ich den Rückzug antrete. Es gibt auch hier keinen Weg, der mich grenznah und abseits der Straßen Richtung Westen führt.

Auf einem Bauernhof in Böxlund finde ich einen Stellplatz für die Nacht. Der Eigentümer stellt Campern eine große Wiese kostenfrei zur Verfügung. Strom und WLAN gibt’s gratis dazu. Von der benachbarten Weide werde ich von einer Gruppe Färsen (junge weibliche Rinder, die noch nicht gekalbt haben) neugierig beäugt. Ich bleibe allein, bis abends ein Trike mit Zeltanhänger neben mir einparkt. Als der Fahrer seinen Helm abnimmt und mich begrüßt, traue ich meinen Augen nicht. Vor mir steht der „Anton aus Tirol“.

Abends bei einem Bier erzählt mir mein Zeltnachbar die Lebensgeschichte eines ehemaligen Landwirts, der sich seit ein paar Jahren als DJ Ötzi-Double (offiziell DJ.Anton) verdingt. Die Ähnlichkeit ist verblüffend, nur der norddeutsche Slang passt nicht so ganz dazu.

Mehr durch Zufall stoße ich bei Ladelund auf die deutsch-dänische Grenzroute. Der Radweg kreuzt mehrfach eine Grenze, deren Verlauf, nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, durch zwei Volksabstimmungen festgelegt wurde. In Aventoft überquere ich die mittlerweile offene Grenze. Noch auf deutscher Seite überrascht mich der Anblick von zwei großen dänischen Supermärkten, die auch heute, am Sonntag, geöffnet sind. Auf dem riesigen Parkplatz stehen fast ausschließlich dänische Autos und Wohnmobile. Hier können unsere skandinavischen Nachbarn dänische Waren mit dänischer Währung kaufen, ohne jedoch die hohen dänischen Steuern entrichten zu müssen. 

Die „Graenseruten“, wie der Grenzweg auf dänisch heißt, führt mich in einem weiten Bogen durch die flache Marschlandschaft Süd-Jütlands in die Kleinstadt Tønder. Das Städtchen mit seiner pittoresken Altstadt blickt zurück auf eine über tausendjährige Geschichte und ist Dänemarks älteste Marktsatdt. 

Ich folge dem Flusslauf der Vidå zurück zur Grenze und orientiere mich bei der weiteren Routenplanung an der Bahnlinie Richtung Küste. Der nächstgelegene Bahnhof für meine Überfahrt nach Sylt ist Klanxbüll. Während der Zugfahrt frage ich mich schon, warum das Befahren oder Betreten des breiten Hindenburgdamms für Fahrradfahrer und Fußgänger „strengstens untersagt“ ist. Platz wäre genug. Aber die Bahn will offensichtlich keine zahlenden Kunden verlieren, denn neben dem Personenticket braucht es zusätzlich ein Fahrradticket.

Nach der Ankunft in Westerland will ich so schnell wie möglich dem Verkehrsgetümmel der Inselhauptstadt entkommen. Das ist gar nicht so einfach, denn in nördlicher Richtung schließen sich die nicht minder beliebten und daher belebten Ortschaften Wenningstedt und Kampen an. Erst im Norden der Insel wird es ruhiger. Die holprige Weststrandstraße – ein beliebtes Film-Motiv – windet sich durch eine wunderschöne Dünenlandschaft bis zum sogenannten Ellenbogen. Neben einem Leuchtturm führt ein schmaler sandiger Pfad, der von zahlreichen Verbotsschildern flankiert ist, zu meinem Etappenziel. Schon von weitem kann ich an dem – für Sylter Verhältnisse einsamen – Strand das Schild sehen, das den nördlichsten Punkt Deutschlands markiert. Von hier aus schweift der Blick hinüber zur dänischen Insel Rømø, die zum Greifen nah scheint. DJ.Anton hat mir dazu geraten, lieber dorthin zu fahren. Da sei es viel schöner als auf Sylt. Ich hatte leider keine Wahl.

Im Nachhinein finde ich es schade, nicht bereits zum Etappenstart auf die „Graenesruten“ eingeschwenkt zu sein. Die Mehrkilometer hätte ich gerne in Kauf genommen. Und die Route entlang der deutsch-dänischen Grenze ist, wenn man sich auf Umwege einlässt, keineswegs eintönig und ereignisarm.

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