Im Tal der Nüsse
Mit dem Camper entlang der Dordogne
Perigord, Dordogne, Auvergne, Zentralmassiv – all diese klangvollen Namen waren mir wohl bekannt. Weit weniger wusste ich über deren räumliche Lage oder politische Zuordnung. Ein kleiner geografischer Exkurs hilft bei der Orientierung.
Ziemlich in der Mitte Frankreichs liegt die ehemalige Region Auvergne (heute Auvergne-Rhône-Alpes) mit den alles überragenden Gipfeln des vulkanischen Zentralmassiv. Fans der Comic-Helden „Asterix und Obelix“ dürfte die Region bekannt sein, hat doch hier der berühmte Gallier-Fürst Vercingetorix auf dem Schlachtfeld von Gergovia (bei Clermont-Ferrand), den römischen Eroberern unter Gajus Julius Cäsars, erfolgreich Widerstand geleistet. Zahlreiche Flüsse graben sich unterhalb der Vulkane ans Tageslicht. Der Prominenteste unter ihnen ist sicherlich die Loire, die sich von hier aus auf ihre lange Reise in Richtung Norden macht. Wir hingegen begleiten die kleinere Dordogne auf windungsreichen 500 Kilometern durch schroffe Gebirge, liebliche Landschaften und vorbei an mittelalterlichen Städtchen, bis zu ihrer Mündung nahe Bordeaux.
Mit fast 1.900 Metern Höhe ist der Puy de Sancy die höchste Erhebung im französischen Zentralmassiv. Am Nordhang des erloschenen Vulkans, der leider mit unansehnlichen Liftanlagen gespickt ist, stürzen sich zahlreiche Gebirgsbäche bergab, die sich im Tal zur jungen Dordogne vereinigen.
Fast unersättlich verschluckt der kleine Fluss auf seinem Weg in das Kurstädtchen La Bourboule weitere Wasserläufe, die ihm aus allen Richtungen zustreben. Nach nur wenigen Kilometern hat die Dordogne bereits ein respektables Format erreicht und schwenkt in einer langgezogenen Kurve südostwärts. Sie verbirgt sich fortan in einem tief eingeschnittenen Tal, das sie bis Argentat für Reisende streckenweise unsichtbar macht.
Ein ungezähmtes Dasein ist der Dordogne nicht lange vergönnt. Nach nur wenigen Kilometern wilden Mäanderns wird sie mehrmals hintereinander aufgestaut und ihre jugendliche Kraft zur Stromgewinnung genutzt. Kurz vor dem ersten Stauwehr am Barrage De Bort dürfen wir den Fluss allerdings noch in einem unberührten Stadium erleben. Der einfach ausgestattete Camping Municipal de Messeix ist auf einer Wiese in Ufernähe angelegt. Sicherheitshalber bleibt ein Geländestreifen in unmittelbarer Nähe zum Wasser gesperrt. Offensichtlich ist man nach der Flutkatastrophe an der Ardèche, nur wenige Wochen zuvor, vorsichtig geworden.
Ab Argentat weitet sich das Tal und die Dordogne gestattet uns, ihr in unmittelbarer Ufernähe zu folgen. Einige wenige Flussbiegungen später erreichen wir Beaulieu-sur-Dordogne. Es ist die erste einer ganzen Serie von malerischen Städtchen, die den Fluss bis Bergerac säumen und die mit ihren bedeutenden Zeugnissen romanischer Baukunst viele Besucher anziehen. Weiter flussabwärts beherrschen endlose Walnuss-Plantagen das breite Tal der Dordogne. Der Anbau der Walnuss hat hier eine lange Tradition. Bereits vor 17.000 Jahre kultivierten die Cro-Magnon-Menschen die schmackhaften Fruchtkerne und im Mittelalter diente die Nuss nicht nur zum Verzehr sondern war ein regional anerkanntes Zahlungsmittel.
Auf dem Campingplatz „Les Granges“ bei Veyrac schlagen wir für die nächsten Tage unser Lager auf. Jetzt, Anfang September, ist die Hochsaison vorbei und wir haben, selbst am Flussufer, freie Platzwahl. Die umliegenden Sehenswürdigkeiten lassen sich von hier aus gut mit dem Fahrrad erreichen. Ein ganz besonderes „Highlight“ ist das kleine mittelalterliche Städtchen Carennac, das zu Recht den „schönsten Dörfern Frankreichs“ zugeordnet wird. Rund um die Benediktinerabtei St. Pierre gruppieren sich die alten Häuser aus dem 15. und 16. Jahrhundert zu einem mittelalterlichen Gesamtkunstwerk. Das Dorf könnte ohne große Veränderung einem historischen Film als Kulisse dienen und beim Rundgang durch die schattigen Gassen würde uns nicht weiter überraschen, einem Ritter in vollem Harnisch zu begegnen.
Kurz hinter Souillac beginnt mit der historische Provinz Périgord (heute Département Dordogne) eine der kulinarischen Schatzkammern Frankreichs. Der Fluss Dordogne durchschneidet hier die Kalkstein-Hochebenen (Causse), die mit ihren ausgedehnten Eichenwäldern ein „Eldorado“ für Trüffelliebhaber sind. Weitere regionale Spezialitäten sind Steinpilze, Pfifferlinge, Walnüsse und – für den der es mag – die „Foie Gras“ (Stopfleber). Rund um die zweitgrößte Stadt des Départements Bergerac werden zudem hochwertige Weine produziert. Hier im Périgord hat man wirklich ausreichend Gelegenheit, die französische Genusskultur (Savoir Vivre) hautnah und authentisch zu erleben.
Fester Bestandteil unseres weiteren Reiseplans sind die pittoresken mittelalterlichen Städtchen an der mittleren Dordogne. Erwartungsvoll nähern wir uns Beynac-Et-Cazenac dessen eindrucksvolle Silhouette schon von weitem auszumachen ist. Dort angekommen erweist sich der bekannte Touristenmagnet allerdings eher als „Disneyland“. Ein wahrer Lindwurm von Reisebussen spuckt unentwegt Menschenmassen aus, die sich anschließend durch eine Phalanx von Souvenir-Buden hindurch quälen bevor sie hinter der alten Stadtmauer verschwinden. Überall weisen Schilder unmissverständlich darauf hin, dass Wohnmobile hier unerwünscht sind. Ebenso deutlich reduzieren Querbalken die Durchfahrthöhe der überteuerten Parkplätze auf zwei Meter. Schweren Herzens fassen wir den Entschluss, weiterzufahren.
Nur zwei Flussbiegungen später lockt uns die weniger bekannte Gemeinde Saint Cyprien von der Uferstraße weg. Das kleine, mittelalterliche Dorf steht ein wenig im Schatten der umliegenden touristischen Highlights und wirkt gerade deshalb auf uns authentischer. Die Altstadt mit ihren stillen Gassen wird dominiert von der gotischen Kirche mit ihrem romanischen Bergfried aus dem 12. Jahrhundert. Saint Cyprien hat sich herausgeputzt für ein großes Fest. Unzählige Girlanden mit bunten Papierblüten schmücken das gesamte Ortsbild. Die große Durchgangsstraße ist zur Start- und Zielgeraden für ein Radrennen umfunktioniert. Die aufgeregte Stimme des Kommentators will allerdings nicht so recht zu dem sehr entspannten Start des Teilnehmerfeldes passen.
Wir erklären Bergerac zum Ziel der heutigen Etappe. Auf dem Camping Municipal „La Pelouse“, direkt am südlichen Dordogne-Ufer, können wir quasi in Sichtweite der Altstadt unser Lager einrichten.
Es ist mal wieder Sonntag und eigentlich nicht der ideale Tag, um eine Stadt zu erleben. Die meisten Geschäfte sind geschlossen und lediglich die Souvenirläden und Bistros fordern Besucher zum Eintreten auf. Die Altstadtgassen rund um die Église Saint-Jaques-Le-Majeur wirken ansonsten wie ausgestorben. Einige sündhaft teuere Spezialitätenläden bieten Besuchern Trüffel und vor allem Stopfleber zum Kauf an. Auf der Place Pélissière steht die überlebensgroße Statue des Cyrano de Bérgerac, dessen Blick versonnen gen Himmel gerichtet ist. Auch wenn Savinien Cyrano, so der Name der realen Person, niemals in Bergerac gewesen ist, so hat er der Stadt doch zu überregionaler Bekanntheit verholfen.
Wir begleiten die Dordogne noch auf ihrem weiteren Weg bis nach Libourne. Der lebhafte Fluss, den wir kennengelernt haben ist hier nicht mehr wiederzukennen. Die trübe, braune Brühe, die träge der Gironde entgegenfließt, bietet einen eher traurigen Anblick. Es ist an der Zeit, den Kurs in nördlicher Richtung zu korrigieren, denn hier breitet sich das das weltgrößte Anbaugebiet für hochwertige Weine, das „Bordelais“ (Bordeaux) aus. Ebenso klangvolle wie berühmte Namen: Medoc, Margaux oder Saint Emilion locken – Adieu Dordogne.