Der letzte Urwald Frankreichs

Der letzte Urwald Frankreichs

Ein kurzer Wanderurlaub in den Vogesen

Ich kann es leider nicht so schreiben, wie es die Franzosen aussprechen: „Woossch“. Aber ich teile ihre Begeisterung für dieses größte zusammenhängende Waldgebiet auf französischem Boden. Auf knapp 6.000 Quadratkilometern finden sich Wintersportgebiete auf windzerzausten Gipfeln, stille Wälder, Seen, keltische und römische Kultstätten sowie die Hinterlassenschaften zweier Weltkriege. Die Vogesen liegen nur einen Steinwurf entfernt, vor unserer Haustür. Es ist also nachvollziehbar, dass wir uns, bei jeder sich bietenden Gelegenheit, irgendwo zwischen Wissembourg und Belfort wiederfinden.

Die Route des Crêtes ist eine ehemalige Militärstraße aus dem ersten Weltkrieg, die auf 77 Kilometern Länge die meisten Gipfel in den südlichen Vogesen miteinander verbindet. Heute ist sie eine der beliebtesten Ausflugsziele in der Region und daher an Wochenenden oder in der Ferienzeit stark befahren. Insbesondere Wintersportler nutzen die Vogesenkammstraße, wie sie auch genannt wird, zur Anreise in die Wintersportgebiete.

Es war uns schon im Vorfeld klar, dass wir an einem Feiertagswochenende nicht alleine auf der Route des Crêtes sein würden. Aber mit dem infernalischen Lärm, den unzählige Motorradfahrer in unmittelbarer Nähe zu unserem ersten Stellplatz, auf dem Col de Bagenelles verursachen, haben wir so nicht gerechnet. Dennoch bleiben wir, denn diese Passhöhe ist ein idealer Ausgangspunkt für unsere Wandertouren auf der „Grand Traversée“, der großen Vogesenüberquerung. Dieser Fernwanderweg (GR 53) führt leistungsbereite Wanderer über 430 Kilometer von Wissembourg im Norden bis Belfort im Süden. So ambitioniert sind wir allerdings nicht. Uns locken kleine Etappen auf diesem äußerst abwechslungsreichen Wanderweg. Nur wenige Meter abseits der Parkplätze verschluckt der dichte Mischwald jeden noch so nervtötenden Verkehrslärm. Kaum ein Mensch, der uns begegnet. Es scheint so, als würde sich das Freizeitgeschehen auf die Straßen beschränken. Uns kann’s recht sein.

Etwas nördlich der Route des Crêtes lockt uns der Heilige Berg Donon. Eigentlich sind es zwei Gipfel; der Größere wurde bereits von den Kelten und später von den Römern als religiöse Kultstätte genutzt. Der etwas niedrigere Donon diente im ersten Weltkrieg deutschen Truppen als Stellung gegen die heraufstürmenden Franzosen. Viele Soldaten fanden in dieser unsinnigen Schlacht um eine strategisch angeblich wichtige Position den Tod.

Der Aufstieg auf den Doppelgipfel ist zwar kurz, aber ziemlich mühsam. Zusätzlich zehren die hohen Temperaturen der ersten Hitzewelle in diesem Jahr an unserer Kondition. Aber die grandiose Aussicht vom Nachbau des römischen Tempels und den gegenüberliegenden Sandsteinfelsen der deutschen Verteidigungsstellung lohnen die Strapazen.

Erst nachdem die große Hitze abgeklungen ist, trauen wir uns von unserem vergleichsweise kühlen Stellplatz auf dem Donon-Pass hinunter in tiefere Lagen. Nach dem Trubel des langen Wochenendes ist es jetzt auch rund um den Lac de Pierre-Percée ruhig geworden. Auf einem Parkplatz in unmittelbarer Nähe zum Ufer des größten Wasserspeichers Lothringens sind wir fast alleine.

Auf unserer weiteren Route nordwärts durchqueren wir das lothringische St. Quirin. Der kleine Ort ist nichts Besonderes und kann auch mit keinerlei Sehenswürdigkeiten aufwarten. Aber die Menschen dort wirken auf uns ziemlich entspannt. Das wäre der ideale Platz für eine kleine Wanderpause. Wir sortieren uns ein und sind gleichfalls ganz schnell tiefentspannt.

Am Übergang vom Département Moselle zum Elsass liegt Dabo, eine der touristischen Attraktionen in den Vogesen. Das dörfliche Panorama wird von einem imposanten Felsen dominiert, dessen Spitze von einer kleinen Kapelle gekrönt wird. Das kleine Gotteshaus wurde zur Erinnerung an Papst Leo IX. auf den Ruinen der mittelalterlichen Dagsburg errichtet. Vom Felsplateau eröffnet sich ein 360-Grad-Panorama über die bewaldeten Kuppen der Vogesen bis hin zum unterelsässischen Städtchen Saverne.

Die Zaberner Steige (Col de Saverne) ist mit nur vier Kilometern Breite die schmalste Stelle der Vogesen. Schon im Altertum diente der vergleichsweise niedrige Pass (400 m über NN) als Gebirgsübergang. Heute zwängen sich an dieser Engstelle eine Autobahn, eine Nationalstraße und eine Bahntrasse ins benachbarte Lothringen. Wir folgen auf einer etwas längeren Route dem Rhein-Marne-Kanal talwärts. Bei Arzviller erwartet uns ein touristischer Leckerbissen. Ein Schrägaufzug wuchtet, mit Hilfe eines riesigen Transportbeckens, die ankommenden Boote über eine Höhendifferenz von 45 Matern auf das lothringische Plateau.

In Saverne (dt. Zabern) quartieren wir uns auf dem Stellplatz der Hafenmeisterei ein. Der ist zwar nicht unsere erste Wahl, aber für die Nähe zur Altstadt nehmen wir das „städtische Parkplatz-Ambiente“ für eine Nacht in Kauf. Neben dem für eine Kleinstadt ziemlich wuchtigen Chateau des Rohan, sind es die alten Fachwerkhäuser entlang der Hauptstraße, die Touristen anziehen. Mitten durch die Altstadt steuern Freizeitkapitäne auf dem Rhein-Marne-Kanal ihre Hausboote. Die teils merkwürdige Vorgehensweise einiger Besatzungen bei der Schleusenpassage hat für Beobachter schon einen gewissen Unterhaltungswert.

Nördlich von Saverne empfangen uns wieder die Wälder der Vogesen. Über La-Petite-Pierre (dt. Lützelstein) nähern wir uns der alten Garnisonsstadt Bitche. Schon von weitem ist die, das stadtbildbeherrschende Zitadelle auszumachen. Im Auftrag Ludwig XIV. schuf der berühmte Baumeister Vauban einen uneinnehmbaren Festungsbau, der in den vergangenen Jahrhunderten allen Eroberungsversuchen widerstanden hat. Die aktuellen Schäden verursachte die amerikanische Artillerie im Zweiten Weltkrieg.

Nach ein paar Tagen Pause haben wir wieder Lust zu wandern. Ein geeignetes Revier findet sich unweit von Bitche, direkt an der Grenze zu Deutschland. Hier gehen die Vogesen quasi nahtlos in den Pfälzerwald über. Ein schön gelegener Stellplatz findet sich auf der Passhöhe des Col du Goetzenberg. Es bleibt leider nur wenig Zeit für einen Sundowner (diesmal ohne Sonnenuntergang), denn über den westlich gelegenen Bergkuppen formieren sich dunkle Wolken.

Nach einem Gewitter und ergiebigen Regenfällen in der Nacht zeigt sich der Himmel am folgenden Morgen wolkenlos – bestes Wanderwetter. Wir wählen eine Route, die uns zunächst an den geheimnisvollen Zigeunerfelsen führt. Es wird vermutet, dass der schroffe Sandsteinfelsen im 17. Jahrhundert ein Vorposten des Château de Wasigenstein war und später „Zigeunerbanden“ als Versteck diente. Der Aufstieg auf das Felsplateau sei nur Trittsicheren und Schwindelfreien empfohlen. (Bildergalerie oben)

Das winzige Dorf Wengelsbach im Tal war lange Zeit nur von Deutschland aus erreichbar. Erst der Bau der Straße über den Col du Goetzenberg ermöglichte die direkte Zufahrt von französischer Seite. Die Straße nach Schöneck in Rheinland-Pfalz wurde zum Radweg heruntergestuft. Nachdem die einheimische Bevölkerung den Ort nach dem letzten Krieg verlassen hat, verfiel er. Erst in den letzten Jahrzehnten wurde er als „Feriendorf“ zu neuem Leben erweckt. Die alten Häuser wurden liebevoll restauriert und das kleine Restaurant ist wohl zu einem echten Geheimtipp avanciert.

Steil ist der Weg zum Château du Wasigenstein. Die Ruine der mittelalterlichen Doppelburg liegt auf einem schmalen Felsgrat und ist, ähnlich wie der Zigeunerfelsen, für Furchtlose begehbar.

Kurz vor unserer Abreise bemerken wir einen schmächtigen Mann, der mit einem viel zu großen Trainingsanzug, Badelatschen und riesiger Sonnenbrille bekleidet, um unser Auto schleicht. Offensichtlich hat er nicht mit uns gerechnet. Er erschrickt, als er uns sieht und macht sich eilig davon. Wir erinnern uns an das Schild an der Zufahrt zum Wanderparkplatz, das vor „Langfingern“ warnt – offensichtlich aus gutem Grund. Selbst hier, abseits aller touristischen Hauptrouten, ist Vorsicht geboten. Dem positiven Fazit unserer Vogesentour kann dieses Erlebnis allerdings nicht schaden. Wir kommen wieder.

Stellplatz auf dem Col du Goetzenberg

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